Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Montag,
30. Januar 1933

Brief von Rosa Süss an ihre Tochter Liselotte und deren Mann

Eine kurze Nachricht von der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, mitten im Brief: »Heute ist also Hitler Reichskanzler, eine nette Gesellschaft, na die werden auch mit Wasser kochen, bleibt abzuwarten was nun kommt!« Geschrieben und gesendet von Rosa Süss aus Mannheim an ihre frisch vermählte Tochter Liselotte und deren Mann Manfred (Meyer) Sperber, die in Italien ihre Flitterwochen verbringen. Eine Nachricht, welche die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass alles nicht so schlimm sein wird, aber eine, aus der sich auch die Sorge der Schreiberin deutlich vernehmen lässt. Hoffnung und Sorge – Gefühle, die die Juden in Deutschland in den kommenden Jahren ständig begleiten werden.

Das Ehepaar Sperber kehrt nach Berlin zurück. Das »was nun kommt« lässt nicht lange auf sich warten. Dr. jur. Manfred Sperber verliert seine Arbeit als Revisor bei der Warenhauskette DeFaKa (Deutsches Familien-Kaufhaus) am 1. April, dem Tag des landesweiten Boykotts gegen jüdische Geschäfte, Anwälte und Ärzte. Sperber besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit und zieht mit Liselotte nach Wien, wo er bis zum Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 ein Möbelgeschäft betreibt. Danach ist er Rechnungsprüfer bei der Jüdischen Gemeinde. Eine Tochter kommt 1935 zur Welt.

Im Mai 1939 beabsichtigt Liselotte Sperber mit ihrem Kind vom französischen Cherbourg aus nach Kuba auszuwandern, das Schiff läuft aber nicht aus. Sie erhält glücklicherweise Visa für die USA und kann fünf Monate später ausreisen. Manfred Sperber gelingt es im Februar 1940 nachzukommen.

Die Briefschreiberin, Rosa Süss, verlässt mit ihrem Mann Julius 1934 Mannheim und zieht nach Paris. Dort erliegt sie sechs Jahre später im Alter von 56 Jahren einem Krebsleiden. Julius Süss überlebt den Krieg und bleibt auch danach in Frankreich. Die Eltern von Manfred Sperber werden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Der Vater Abraham kommt im Mai 1943 um, die Mutter Malka wird befreit und kann im Mai 1946 zu ihrem Sohn und seiner Familie in die USA auswandern.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Boykott | Mannheim
Auszug aus einem Brief von Rosa Süss an ihre Tochter Liselotte und deren Mann Manfred Sperber, Mannheim, 30. Januar 1933
Kopie im Leo Baeck Institute, Liselotte Sperber Collection, AR 10251
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