Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 29. MAI 1933
31. MAI 1933 >

Montag,
29. Mai 1933

Kündigungsschreiben des Schulamts der Stadt Dresden an Friedrich Wilhelm Ehrenfreund

Am 29. Mai 1933 teilte das Schulamt Dresden dem Kinderarzt Friedrich Wilhelm Ehrenfreund (1875–1934) mit, dass es die Kündigung seiner Tätigkeit als Schularzt, die es im April ausgesprochen hatte, zurücknimmt. Der hochdekorierte Stabsarzt des Ersten Weltkriegs hatte seinen Frontkämpfer-Status nachgewiesen und fiel damit unter eine Ausnahmeregelung. Doch wenn Ehrenfreund glaubte, seine Arbeit nun wieder aufnehmen zu können, wurde er mit kühlen Worten eines Besseren belehrt: Das Amt verschob die Kündigung nur um drei Monate mit Hinweis auf die »gegenwärtigen Verhältnisse«, eine Vertretung war längst bestellt. Mit knappem Dank und Zusicherung der restlichen Vergütung endet das Schreiben.

Das war nicht die einzige Niederlage, die der Kinderarzt in diesen Tagen zu verkraften hatte. Neben seinem eigenen Praxisbetrieb am Bismarckplatz arbeitete er ehrenamtlich in verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen, die er z.T. gegründet und maßgeblich gestaltet hatte. Nun wurde er systematisch vertrieben, bis er zuletzt im Januar 1934 auch die Praxis schließen musste. Der geschätzte Arzt stand vor den Trümmern seines Lebens und erholte sich davon nicht mehr. Im Februar 1934 starb er mit 58 Jahren unter nicht geklärten Umständen.

Mit Sicherheit verstand Friedrich Ehrenfreund anfangs nicht, was 1933 über ihn hereinbrach. Denn er war 1875 als Sohn des Hornmehlfabrikanten Aron Ehrenfreund und seiner evangelischen Frau Agnes geboren und kurz darauf getauft worden. Sein Vater entschied sich 1883 zur christlichen Taufe. Im Ersten Weltkrieg erlebte er das ganze Elend des Krieges, ließ sich jedoch in seiner Vaterlandsliebe nicht erschüttern: »Alles wird gern ertragen, denn unsere alten Eltern sollen ruhig schlafen und unsere Kinder freie, glückliche Bürger bleiben.« So schrieb er noch im Februar 1918. Ein freier, ja glücklicher Bürger zu sein – dieses Ideal zerschlug sich für Friedrich Ehrenfreund schon in den ersten Monaten des Jahres 1933.

Ulrike Neuwirth

Kategorie(n): Ärzte | Frontsoldaten | Schule
Kündigungsschreiben des Schulamts der Stadt Dresden für Friedrich Wilhelm Ehrenfreund, Dresden, 29. Mai 1933
Schenkung von Betina Chill

Schularzt in Dresden

Seit 1910 arbeitete Friedrich Ehrenfreund als amtlich bestellter Schularzt in Dresden. Anfang der 1930er Jahre war er verantwortlich für die 2. und die 47. Volksschule, sowie für das Vitzthumsche Gymnasium. Für die Rektoren der Schulen kam die Entlassung Ehrenfreunds wohl ebenso überraschend wie für ihn. Dass sie den Arzt nicht nur fachlich schätzten, spricht aus ihren persönlichen Abschiedsbriefen, die er nach der ersten Kündigung erhalten hatte: »Auch uns ist es Herzensangelegenheit, (…) den innigsten Dank auszusprechen für Ihre aufopfernden Bemühungen um das Wohl unserer Kinder, nicht minder auch für Ihre oft bewiesene Hilfsbereitschaft für die Bedürftigsten der Schule.« Der Leiter der 2. Volksschule Müller verband diesen Dank mit dem Wunsch, den Arzt bald wieder begrüßen zu können.

Der Direktor Richard Ulbricht schrieb: »Ich selbst bitte, die Worte auf meiner Osterkarte ›in alter Treue‹ mit all dem zu füllen, was zwischen uns bestand u. weiter bestehen wird« und bekräftigte damit seine persönliche Wertschätzung. Sein Kollege Dr. Kleinstück ging sogar noch weiter: »Auch ich möchte mit Kritik zurückhalten; dass ich das Ganze nicht billige, spreche ich offen aus.«

Welche Wirkung Ehrenfreund in Dresden entfaltet hatte, war auch noch Jahrzehnte später zu spüren. Anlässlich seines 50. Todestages unternahm eine private Initiative den Versuch, mit einer Gedenktafel an den Kinderarzt zu erinnern. Aufrufe in Dresdner Zeitungen forderten die Leser auf, ihre Erinnerungen an den Doktor einzusenden. Es kamen über hundert Zuschriften. Viele der ehemaligen Patienten erinnerten sich an den unermüdlichen Mann und an den Spruch aus seinem Wartezimmer: »Kinder und Kälber ernährt man mager«.

Der Rat der Stadt Dresden lehnte das Aufstellen der Gedenktafel letztlich ab, da er keinen konkreten »Verfolgungstatbestand« erkennen konnte.

Brief von Johannes Kleinstück, Direktor am Vitzthumschen Gymnasium, an Friedrich Ehrenfreund, Dresden, 19. April 1933
Schenkung von Betina Chill 
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