Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Montag,
19. Juni 1933

Brief des Malers Arthur Segal an das Ehepaar Maas

Für einen Künstler wie Arthur Segal (1875–1944) – jüdisch, in Rumänien geboren, der Avantgarde-Kunst verbunden – war 1933 kein Platz mehr in Deutschland. In einem gleichgeschalteten Kulturleben, antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt und ohne Ausstellungs- und Verdienstmöglichkeiten, gab es für den Maler und Kunstlehrer keine Perspektive. Er entschied sich mit Frau und Tochter, Berlin zu verlassen und nach Mallorca zu gehen, wo der Sohn als Architekt arbeitete.

In dieser Situation schrieb er am 19. Juni 1933 an Frau Maas, eine seiner Schülerinnen, einen Brief, in dem seine emotionale Ausnahmesituation, aber auch seine Lehrerpersönlichkeit zum Ausdruck kommen. Er verabschiedet sich von ihr und ihrem Ehemann und bedankt sich zugleich für die Unterstützung: »Mein Herz ist voll – Nicht so sehr das Geld – als das Menschliche – das (sic) Liebe, die Freundschaftlichkeit, die Herzlichkeit, die Sie mir brachten« – Dinge, die einem Juden wie ihm in der »heutigen Zeit« so selten begegnen würden. Er schließt mit ermutigenden Worten für Frau Maas, der er prophezeit, dass sie »eine sehr tüchtige Künstlerin« werden wird.

Von Mallorca aus hielt Segal brieflich weiter den Kontakt zu seinen Schülern. Schilderte er zu Beginn noch euphorisch das inspirierende Licht und die Farben der Insel, belasteten ihn sehr bald finanzielle Not und Heimatlosigkeit. Im Dezember 1933 schrieb er an Annemarie Ratkowski-Braun: »Ja meine Lieben, es ist unsagbar, Jude zu sein (…) 40 Jahre lang habe ich in Deutschland gelebt und gemalt und gewirkt und das Deutsche geliebt – Jetzt werden wir staatenlos und herausgeworfen, damit wir zugrunde gehen.« Immer wieder bat er um finanzielle Unterstützung, auch Frau Maas, die ihm offenbar Geld schickte.

Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs floh die Familie Segal 1936 nach Großbritannien. Es gibt Hinweise darauf, dass Frau Maas dabei behilflich war. Die Situation der Familie dort war auch weiterhin prekär und 1940/41 wurde Segal von den Briten als »feindlicher Ausländer« auf der Isle of Man interniert. Bei einem Bombenangriff auf London am 23. Juni 1944 starb Arthur Segal an einer Herzattacke.

Henriette Kolb

Kategorie(n): Auswanderung | Berlin | Künstler und Schriftsteller | Schule
Brief des Malers Arthur Segal an das Ehepaar Maas (Seite 1), Berlin, 19. Juni 1933
Leo Baeck Institute, Anne Ratkowski-Wanger Collection, AR 6326

Ein wandlungsfähiger Künstler und leidenschaftlicher Lehrer

»Er war wohl der beste, hingebendste Lehrer, den es geben konnte. (…) Wenn er erschien und die Bilder sah, riß er seinen breitkrempigen Hut vom Kopf und rief begeistert aus: ›Donnerwetter, Menschenskind, das ist ja fabelhaft.‹ Er lobte dann, was zu loben und kritisierte, was nötig war, um den Schüler zu fördern.« So schildert es im Rückblick 1987 die Malerin Annemarie Ratkowski-Braun.

Arthur Segal hatte seine Malschule in Berlin 1923 eröffnet. In der Berliner Kunstszene spielte er eine aktive Rolle. Er verfasste kunsttheoretische Schriften und war Mitglied verschiedener Künstlervereinigungen, unter anderem der linken Novembergruppe. Stilistisch ist er schwer einzuordnen, in den Werken finden sich im Laufe seines Lebens Einflüsse sehr unterschiedlicher Kunstrichtungen von Expressionismus bis Naturalismus. Segal glaubte an die moralische und heilende Kraft der Kunst und wollte diese auch seinen Schülern vermitteln.

In London gründete der Künstler 1937 erneut eine Schule, die »Arthur Segal Painting School for Professionals and Non-Professionals«. Ihn interessierten zunehmend psychologische und kunsttherapeutische Aspekte und er suchte in dieser Hinsicht Kontakt zu anderen Emigranten wie Sigmund Freud und Ernst Simmel. Nach Segals Tod führten seine Frau Ernestine und die Tochter Marianne die Kunstschule bis 1977 weiter.

Arthur Segal, London, 1943.
Leo Baeck Institute, Arthur Segal Collection, AR 7105 
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