Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Mittwoch,
9. August 1933

Brief von Werner Kraft aus dem schwedischen Exil an Margarethe Heller in Edinburgh

Am 9. August wendet sich der 37-jährige Bibliothekar, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Werner Kraft (1896–1991) an seine Bekannte Margarethe Heller (1893–1982). Sie kennen sich seit Jahren durch ihren gemeinsamen Jugendfreund, den Religionshistoriker und Philosophen Gershom Scholem. Beide leben seit einiger Zeit im Exil, Kraft in Danderyd bei Stockholm, Heller im schottischen Edinburgh.

Der Brief spiegelt die Existenznöte der Emigranten wider. Ihre Karrieren sind jäh abgeschnitten, sie sprechen häufig nicht die Sprache des Exillandes und sind auf die Hilfe anderer angewiesen. Zugleich blicken sie voller Sorge nach Deutschland.

Werner Kraft spielt mit dem Gedanken, weiter nach Palästina zu emigrieren, will jedoch vorerst noch einen Versuch unternehmen, sich »in Europa anzusiedeln«. Ohne besonders optimistisch zu sein bittet er Heller, in der Universitätsbibliothek in Edinburgh anzufragen, »ob es im englischen Bibliothekswesen irgendwelche Aussichten für jüdische Bibliothekare aus Deutschland gibt.«

Aufmerksam verfolgt Kraft die deutschsprachige Presse und geht auf die aktuellen Geschehnisse ein: »Welch eine Hölle ist in Deutschland. Der arme Fechenbach!« schreibt er zwei Tage nach der Ermordung des jüdischen Journalisten und Sozialdemokraten Felix Fechenbach durch die Nationalsozialisten. Und über Karl Kraus, den österreichischen Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift »Die Fackel«, weiß er zu berichten: »Es geht ihm körperlich wohl; wie er unter dem Unsagbaren leidet, das wir erleben, dafür spricht sein Schweigen.«

Lea Weik

Kategorie(n): Auswanderung | Beamte | Hannover | Künstler und Schriftsteller
Brief von Werner Kraft an Margarethe Heller, Danderyd (Schweden), 9. August 1933
Schenkung von Eri Heller

Ein Leben für die Bücher

Werner Kraft wurde am 4. Mai 1896 in Braunschweig geboren und wuchs in Hannover auf. An sein Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie schloss er eine Bibliothekarsausbildung an. Nach der Promotion wurde er 1928 Bibliotheksrat an der Vormals Königlichen Provinzial-Bibliothek in Hannover.

Im April 1933 wurde Kraft im Zuge des Berufsbeamtengesetzes entlassen. Gemeinsam mit seiner Frau Erna und den beiden Kindern Caspar und Else emigrierte er zunächst nach Schweden. Es folgten kurze Aufenthalte in London und Paris, bevor die Familie sich 1934 in Jerusalem niederließ.

Dort arbeitete er von 1936–1942 als Bibliothekar am Centre de Culture Française und von 1947–1956 in der Antikenabteilung des Rockefeller Museums. Während der gesamten Zeit war er zudem schriftstellerisch tätig und verfasste neben Romanen und Gedichten auch Monographien, u.a. über Karl Kraus, Martin Buber und Franz Kafka. Am 14. Juni 1991 starb Werner Kraft im Alter von 95 Jahren in Jerusalem.

Postkarte von Erich Brauer an Werner Kraft in Jerusalem, Tel Aviv, nach dem 9. Oktober 1934. Erich Brauer war Ethnologe und Margarethe Hellers Bruder.
Schenkung von Eri Heller  
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