Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Montag,
25. September 1933

Ausschluss von Eduard Graun aus dem Turnverein »Virchow-Wedding«

Der Hauptturnwart des Berliner Turnvereins »Virchow -Wedding« war kein Mann der rücksichtsvollen Worte. In zackigem Ton teilt er Karl Graun mit, dass sein Sohn Eduard ab sofort von der Mitgliederliste des Vereins gestrichen ist. Der Grund wird freimütig angegeben – Mitglieder der Deutschen Turnerschaft (D.T.) müssen »reinarischer Abstammung« sein.

Hier hatte die Führung der D.T. ganze Arbeit geleistet: Schon im April 1933 schrieb sie die Anwendung des »Arierparagaphen« in den Vereinssatzungen fest, was für jüdische Sportler kurzerhand den Ausschluss bedeutete. Damit setzte sich die D.T. an die Spitze der Bewegung zur Gleichschaltung des deutschen Sports und das ohne besondere Notwendigkeit oder Forderung von staatlicher Seite.

Der damals elfjährige Eduard Graun wird über diese Nachricht ziemlich irritiert gewesen sein. Wie sein Vater war er evangelisch getauft; dass seine Mutter jüdischer Religion war, hatte bislang sicher keine große Rolle gespielt. Doch ist der Ausschluss der schleichende Beginn einer Reihe von Rückschlägen und Niederlagen, die auf ihn zukommen und lange begleiten werden.

1937 beginnt Eduard Graun eine kaufmännische Lehre in der Firma Jacob Walzer, kann sie aber nicht beenden, weil der Betrieb im Dezember 1938 »arisiert« wird. Die Schwarzschild-Ochs AG tritt in den Lehrvertrag ein, doch Eduard Graun hat längst andere Pläne – er will Schauspieler werden! Die Ausbildung beendet er auf eigenen Wunsch vorzeitig und schlägt sich in der Folgezeit als Kleindarsteller und Produktionsassistent bei Theater und Film durch. Doch seine Abstammung bleibt kein Geheimnis und behindert ihn auch hier. Die Reichstheaterkammer, in der er Mitglied sein muss, um am Theater arbeiten zu können, lehnt seinen Aufnahmeantrag 1944 ab. Im selben Jahr wird er, wie Tausende andere »Halbjuden« auch, zwangsweise zur »Organisation Todt« eingezogen, die für alle militärischen Bauaufgaben im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten zuständig ist.

Eduard Graun übersteht das Kriegsende und erhält 1949 erstmals eine feste Anstellung als Regieassistent und Programmsprecher beim Berliner Rundfunk. Doch 1951 bezieht der Sender Räume in Ost-Berlin und Graun verliert erneut seine Arbeit. Die folgenden Jahre sind von Arbeitslosigkeit und einer Reihe von Entschädigungsverfahren geprägt, die nur teilweise zum Erfolg führen. 1958 scheitert sein Antrag auf Anerkennung als rassisch Verfolgter (PrV) endgültig.

Ulrike Neuwirth

Kategorie(n): Berlin | Kindheit | Sport | Vereine
Mitteilung des Turnvereins »Virchow-Wedding« an Karl Graun über den Ausschluss seines Sohnes Eduard, Berlin, 25. September 1933
Schenkung von Bernd Stein
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