Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Freitag,
29. September 1933

Abgangszeugnis des Hohenzollern-Oberlyzeums für Luba Mirskin

Als Luba Mirskin Ende September 1933 ihr Abgangszeugnis erhält, ist sie 19 Jahre alt. Noch während der laufenden Abiturprüfungen geht sie von der höheren Mädchenschule ab. Als Grund dafür ist auf dem Zeugnis vermerkt, dass Luba die Schule verlässt, »um nach England zu gehen«. Tatsächlich sollten noch Monate verstreichen, bis sie mit ihrer Familie Berlin den Rücken kehrt.

Anders als sie es der Schule mitgeteilt hatten, planten die Mirskins nicht nach Großbritannien, sondern nach Palästina auszuwandern. Dorthin fuhr Hirsch Mirskin 1934, um die Emigration seiner Familie vorzubereiten. Doch Luba und ihre Schwester Helena sahen ihren Vater nicht wieder, denn er starb überraschend an einem Schlaganfall. Seine Witwe und die beiden Töchter waren in Berlin jetzt auf sich allein gestellt. Erst im Laufe des Jahres gelang es den drei Frauen, die Wohnung aufzulösen und nach Jerusalem umzuziehen. In dieser fremden neuen Heimat gründete die ältere Helena recht bald eine eigene Familie. Luba wurde selbstständige Fotografin und heiratete später den ebenfalls aus Deutschland eingewanderten Stephan Baumblatt.

Miriam Goldmann

Kategorie(n): Auswanderung | Berlin | Kindheit | Schule
Abgangszeugnis für Luba Mirskin, ausgestellt vom Hohenzollern-Oberlyzeum, Berlin, 29. September 1933
Dauerleihgabe

Eine Schule im Berliner Westen

Luba Mirskin (1914–1996) besuchte das Hohenzollern-Oberlyzeum in der Eisenzahnstraße in Berlin-Wilmersdorf sieben Jahre lang, denn obwohl die Familie oft umziehen musste, blieb sie ihrer Schule treu. Das Foto wurde im September 1930 aufgenommen, als noch viele jüdische Mädchen auf das Lyzeum gingen. Drei Jahre später verließ Luba als letzte jüdische Schülerin ihre Klasse. Sie nahm nur im Sport an der Abiturprüfung teil und sollte es bis ins hohe Alter bedauern, dass sie keinen Schulabschluss hatte.

Klasse U II c des Hohenzollern-Oberlyzeums mit Luba Mirskin (letzte Reihe, 5. v. links), fotografiert von R. Schneider, Berlin, 26. September 1930. Das Foto wurde in der sogenannten Wandelhalle im 1. Stock der Schule aufgenommen. Bei schlechtem Wetter konnten sich die Schülerinnen während der Pausen hier aufhalten.
Privatbesitz 

Von der Moskwa an die Spree

Luba Mirskin wurde 1914 in Łódź geboren, im gleichen Jahr zog die Familie nach Moskau. Der Vater Hirsch Mirskin war Kaufmann und handelte unter anderem mit Mänteln und Kürschnerwaren.

Wie viele andere Russen – Juden und Nichtjuden – versuchten auch die Mirskins lange vergeblich das von Oktoberrevolution und Bürgerkrieg erschütterte Russische Reich zu verlassen. 1924 reiste die Mutter schließlich mit den Töchtern voraus in das Ostseebad Zoppot an der Danziger Bucht, das sich auch bei Polen und Russen großer Beliebtheit erfreute. Als der Vater nachkommen konnte, suchten die Eltern von hier aus nach einem neuen Wohnort in Deutschland, während Luba und ihre drei Jahre ältere Schwester Helena ein Mädchenpensionat in Lausanne besuchten.

1925 gelang endlich der Umzug nach Berlin. Doch Lubas Vater konnte in der Emigration nicht mehr an seinen beruflichen Erfolg in der russischen Heimat anknüpfen, die Situation der Familie blieb unsicher.

Familie Mirskin (v.l.n.r.): die Mutter, Luba, der Vater Hirsch und die Schwester Helena, Zoppot, 1924
Privatbesitz 
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