Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 29. OKTOBER 1933
3. NOVEMBER 1933 >

Montag,
30. Oktober 1933

Zeugnis des Finanzamts Chemnitz-Ost für Friedrich Wilhelm Höxter

Sieben Monate lang konnte Friedrich Wilhelm Höxter (1896–1962) nach Inkrafttreten des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, mit dem Juden aus dem öffentlichen Dienst gedrängt wurden, noch seine Arbeit am Finanzamt Chemnitz-Ost fortsetzen. Doch am 30. Oktober 1933 wurde auch er »in den dauernden Ruhestand versetzt«. Damit ging eine elfjährige Karriere als Steuerassistent zu Ende. Verabschiedet wurde Höxter mit einem ausgezeichneten Zeugnis, das durchaus den Eindruck vermittelt, dass man den als »gewandt, fleißig und zuverlässig« charakterisierten Mitarbeiter gern gehalten hätte. Er wird als ein Mann mit umfassendem Wissen, Organisationstalent und Sprachkenntnissen beschrieben, der seine Arbeit »stets auf das Beste erledigt« und sich »allenthalben bewährt« hat. Keine hohlen Worte angesichts der Tatsache, dass das Finanzamt in Chemnitz ihn zunächst weiterbeschäftigt hatte, obwohl ihm das Reichsministerium der Finanzen bereits im Juli gekündigt hatte.

Der 37-jährige fand unmittelbar im Anschluss eine neue Arbeit und trat eine Stelle als Rechnungsprüferassistent bei einem nichtjüdischen Chemnitzer Steuerexperten an, wo er bis Ende Februar 1935 blieb. Auch hier erhielt er ein hervorragendes Zeugnis. Friedrich Wilhelm Höxter verließ das Steuerbüro auf eigenen Wunsch, um zu heiraten und zusammen mit seiner Frau Philippine nach Breslau zu ziehen. Ob und wo er hier arbeitete, ist nicht bekannt. Allem Anschein nach ist er 1938 einer Verhaftung während der Novemberpogrome entgangen. Anfang 1939 beabsichtigt er mit seiner Frau nach Südafrika auszuwandern, wo ein Cousin ihnen Unterhalt für zwei Jahre garantierte. Das Schicksal verschlug sie jedoch nicht dorthin, sondern nach Schanghai, wo sie den Zweiten Weltkrieg überlebten.

Nach Kriegsende dachte Friedrich Wilhelm Höxter offensichtlich ernsthaft an eine Rückkehr nach Deutschland und erkundigte sich im September 1946 bei der Stadt Chemnitz nach Arbeitsmöglichkeiten in der Finanzverwaltung. Man antwortete ihm: »An der Rückkehr gesunder und für den Wiederaufbau einsatzfähiger ehemaliger Chemnitzer Einwohner, die wie Sie unsere Stadt gegen ihren Willen verlassen mußten, haben wir selbstverständlich Interesse.« Und es gab in der Tat unmittelbar die Position des Leiters des Steueramts zu besetzen. Weiter hieß es: »Bei der Bedeutung der Position und der Dringlichkeit der Besetzung werden Sie andererseits verstehen, dass wir uns nicht unbedingt auf Sie festlegen können. Wir glauben aber auch, daß sich für den Fall, daß die Stelle inzwischen besetzt wäre, oder wir nicht auf Sie zukommen könnten, bestimmt eine Möglichkeit für Ihre Mitarbeit im Verwaltungsdienst bietet.«

Friedrich Wilhelm Höxter ist schließlich nicht in seine Geburtsstadt Chemnitz zurückgekehrt. Von September 1947 bis Januar 1948 war er als Englischlehrer und Dozent an einem College in Schanghai tätig, bis es ihm und seiner Frau gelang, in die USA einzuwandern. Dort starb er 14 Jahre später im Alter von 66 Jahren in Ohio.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Auswanderung | Beamte | Berufsverbot | Chemnitz
Zeugnis des Finanzamts Chemnitz-Ost für Friedrich Wilhelm Höxter, Chemnitz, 30. Oktober 1933
Leo Baeck Institute, Friedrich Höxter Family Collection, AR 3082
IMPRESSUM