Veröffentlicht von am 7. Juni 2015 0 Kommentare

Herzlichen Glückwunsch Refik-Veseli-Schule!

Ein graues Treppenhaus an dessen Wand der Satz "Theater. Findet Refik" angesprüht ist

»Findet Refik!« (Regie: Anja Scheffer) ist die neue Theaterproduktion der Berliner Refik-Veseli-Schule
© Lernkultur – Institut für Bildungsforschung und Evaluation, Foto: Katharina Obens

Mit der Einführung einer gymnasialen Oberstufe an der Refik-Veseli-Schule hat Kreuzberg 36 seit kurzem seine erste Sekundarschule mit Oberstufe, die sich reger Nachfrage erfreut. Die Jugendlichen aus dem Wrangelkiez müssen nun nicht mehr in anderen Stadteilen zur Schule gehen. Damit ist ein wichtiger Schritt gegen die Bildungssegregation in Kreuzberg getan.

Schon seit Juni 2012 läuft die Partnerschaft der 8. Integrierten Sekundarschule in Kreuzberg mit dem Jüdischen Museum Berlin. Bereits zuvor hatte die gesamte Schule über einen neuen Namen abgestimmt und beschlossen, ihre Schule Refik-Veseli-Schule zu nennen. Während einer Kursfahrt nach Israel hatten Schüler/innen im Museum Yad Vashem die Geschichte von Refik Veseli einem Gerechten unter den Völkern kennengelernt.

Refik Veseli war ein 17-jähriger Lehrling in einem Fotostudio im albanischen Tirana, als er 1942 den aus Jugoslawien vor den Nationalsozialisten geflohenen jüdischen Fotografen Mosche Mandil kennenlernte. Mit dem Einmarsch der Deutschen 1943 verschärfte sich die Situation für Juden in Albanien. Die Familie Veseli beschloss, Mosche Mandil und seine Familie in ihrem Haus in Kruje zu verstecken. Daraus wurden fast drei Jahre.

1987 wurde die Familie Veseli dafür von Yad Vashem zu Gerechten unter den Völkern ernannt. Damit wurden erstmalig Albaner in Israel geehrt. Albanien, in dem vor der Shoah nur etwa 200 Juden lebten, nahm in den Jahren 1943 bis 1945 zwischen 600 und 1.800 jüdische Flüchtlinge aus ganz Europa auf, die während der deutschen Besatzung von muslimischen Familien versteckt wurden. Es ist das einzige europäische Land, in dem nach 1945 mehr Juden lebten als vor dem Holocaust. Ein Grund dafür mag der dort praktizierte muslimische Ehrenkodex der »Besa« (ein Versprechen halten) sein. Die durch dieses Gebot praktizierte Aufnahme von Verfolgten in vielen albanischen Familien, äußerte sich bei den Veselis darin, dass sie gar nicht fragten, ob sie jüdische Verfolgte aufnehmen sollten, sondern im Familienrat nur diskutierten, wie dies möglich sei.

Zwei Männer und eine Frau stehen nebeneiner und blicken in die Kamera

Familie Veselay vor dem Eingang der Refik-Veseli-Schule © Lernkultur – Institut für Bildungsforschung und Evaluation, Foto: Katharina Obens

Heute heißt es im neuen Leitbild der ersten nach Refik Veseli benannten Schule: »Der Namensgeber Refik Veseli repräsentiert unser Ideal von Akzeptanz und Anerkennung von Vielfalt. Vor dem Hintergrund eines demokratischen Verständnisses hat er sich mit jugendlicher Zivilcourage für die Menschenrechte von Verfolgten eingesetzt. (…) Refik Veseli ist uns ein Vorbild auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft mit einer pluralen Demokratie.«

Von der Bildungspartnerschaft mit dem Jüdischen Museum Berlin, die nun fast drei Jahre besteht, ist Schulleiterin Ulrike Becker fest überzeugt. Im Gespräch bezeichnet sie sie als »einen Schritt zum Aufbau kultureller, religiöser Akzeptanz an unserer Schule.« Im neuen Schulprogramm wurden nun eine »Intensivierung der Patenschaft mit dem Jüdischen Museum Berlin« und eine »regelmäßige Wahrnehmung der pädagogischen Angebote des Jüdischen Museums« festgeschrieben.

Erwachsene und Schulkinder sitzen in einem Stuhlkreis und unterhalten sich. Dabei werden sie von einer Kamera gefilmt

Die Familien Veselay und Mandil beim Familiengespräch im Oktober 2014 © Lernkultur – Institut für Bildungsforschung und Evaluation, Foto: Katharina Obens

Anlässlich der Feierlichkeiten zur Umbenennung der Schule am 8. Oktober 2014 fand eine Tanzaufführung im Jüdischen Museum Berlin statt. Cilly Kugelmann sprach in der Schule zu den vielen anwesenden Schülerinnen und Schülern, Lehrenden und Gästen. Als Ehrengäste waren die Kinder und Enkel der beiden Familien eingeladen. Bis heute verbindet die Mandils und Veselays eine enge Freundschaft und die gemeinsame Leidenschaft zur Fotografie.

Ich fragte die beiden Familien:

Was habt ihr gedacht, als ihr davon erfahren habt, dass diese Berliner Schule Refik-Veseli-Schule heißen soll?

Ron Veselay (Enkel von Refik Veseli): »Ich weinte an dem Tag, als mich Ruth Mandil benachrichtigt hat. Also das war für mich unglaublich, ehrlich gesagt. Ich hätte das nicht gedacht, das war unglaublich. Ich fühle mich sehr geehrt, dass die Schule den Namen von meinem Großvater Refik trägt, der leider bereits im Jahr 2000 verstarb. Nun hoffen wir, dass die Botschaft dieses Namens zu den Leuten kommt. Denn auch die Freundschaft zwischen den Familien Veseli und Mandil ist immer stärker geworden. Ich heiße sogar Ron, genau wie Ron Mandil! Als wir die Nachricht bekamen, waren wir also sehr froh, und ich hoffe, dass dieser neue Name eine Brücke baut zwischen den Generationen, Religionen und Nationen.«

Ron Mandil (Enkel von Moshe Mandil): »Zuerst haben wir nicht verstanden, worum es bei dem Projekt eigentlich gehen sollte. Erst als wir hier gestern ankamen und das Schild am Schuleingang sahen, da haben wir wirklich begonnen es zu verstehen. Das war sehr emotional für uns. Unglaublich, dass die Schüler hier ihre Schule nach Refik Veseli benennen. Refik, der unsere Familie vor dem Holocaust rettete. Das ist eine große Ehre für uns. So wurde eine Familiengeschichte, die Veseli-Geschichte und Mandil-Geschichte, ein Teil der großen Geschichte. Gestern, als wir hier ankamen, da fragte uns eine Schülerin: »Sind Sie von der Veseli Familie?« Und wir sagten: »Nein, wir sind die Mandils.« Und sie sagte: »Oh, dann ist euer Großvater Moshe Mandil?« Das war so erstaunlich, dass dieses deutsche Mädchen meine eigene Geschichte kannte. Das war unglaublich und sehr emotional. Nun sind wir hier in Deutschland, in Berlin, in einer Schule benannt nach Refik Veseli. Ich find, das ist eine sehr optimistische Geschichte!«

Ruth Mandil: »Wissen Sie, wir beschäftigen uns mit unserer Familiengeschichte und dem Zweiten Weltkrieg nun schon viele Jahre. Den Namen Refik Veseli kennen wir schon unser ganzes Leben. Unser Vater Gavra Mandil hat viel über die drei Jahre im Versteck im Haus der Veselis gesprochen. Aber hier, bei dieser Gelegenheit kommen alle Gefühle wieder zurück. Ich habe zuhause in Tel Aviv allen davon erzählt. Immer wenn ich daran denke, fühle ich wieder, wie die Tränen in mir hochsteigen. Das ist ein sehr überwältigender Moment, bei der Feier zur Umbenennung dabei zu sein. Wie Ron sagte, es ist eine private Geschichte, aber nun gehört sie nicht mehr nur uns. Sie wurde Geschichte!«

Katharina Obens, freie Mitarbeiterin, die sich für das Jüdische Museum Berlin auf den Weg nach Kreuzberg 36 machte

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