Das Gastmahl wird restituiert

– die Geschichte einer Recherche

Ein Ölgemälde mit der Darstellung eines Gastmahls, in goldenem Rahmen

Diese Ölskizze mit dem Titel Das Gastmahl der Familie Mosse wurde an die Erbengemeinschaft nach Felicia Lachmann-Mosse restituiert; Foto: Jüdisches Museum Berlin, Jens Ziehe.

Der heutige Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert unter anderem an die bis heute spürbaren Folgen des verbrecherischen NS-Regimes. Eine dieser Folgen ist, dass sich in vielen Museen noch immer Kulturgüter befinden, die ihren Besitzern zwangsweise während der NS-Zeit entzogen wurden. Im Dezember letzten Jahres restituierte das Jüdische Museum Berlin nun die Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse an die Erben von Felicia Lachmann-Mosse. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Und wie geht das überhaupt mit der Provenienzforschung, die in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen hat und oft für Rauschen im medialen Blätterwald sorgt?

Allgemein gesprochen geht es darum, herauszufinden, ob ein Kunstwerk (oder auch ein Buch oder anderes Kulturgut) in der Zeit des Nationalsozialismus seinen Besitzer wechselte, ob es ihm widerrechtlich entzogen, also enteignet oder zwangsweise verkauft wurde. Sollte sich das für ein Objekt herausstellen, haben sich die deutschen Museen, Bibliotheken und Archive verpflichtet, es den rechtmäßigen Erben zurückzugeben.

Schwarz-Weiß-Fotografie eines Gastmahl-Gemäldes

Fotografie des zerstörten Wandbilds Anton von Werners von 1899 im Speisesaal des Palais Mosse am Leipziger Platz 15; Universität der Künste Berlin

Seit April 2015 bin ich am Jüdischen Museum mit den Recherchen zur Geschichte der Gemälde und Skulpturen in der Sammlung betraut. Eines der ersten Kunstwerke, mit denen ich mich ausführlich beschäftigt habe, ist die auf Leinwand gemalte Skizze Das Gastmahl der Familie Mosse von dem Berliner Maler Anton von Werner. Sie ist die Vorarbeit zu einem monumentalen Wandbild, mit dem der Berliner Verleger Rudolf Mosse den Maler im Jahr 1899 beauftragt hatte. Das Original war mit Maßen von zweieinhalb auf fünf Meter so groß, dass es eine ganze Wandlänge einnahm. Im Speisesaal des so genannten Mosse-Palais am Leipziger Platz, einer großbürgerlichen Stadtvilla, die Rudolf Mosse in den 1880er-Jahren kaufte und nach seinen Vorstellungen umbauen ließ, fand das Wandbild seinen Platz. In den Gesellschafts- wie auch in den Privaträumen der Villa war die Kunstsammlung Rudolf Mosses untergebracht, die bereits seit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts für Besucher zugänglich war und häufig in Publikationen der damaligen Zeit Erwähnung fand.

Ölgemälde eines Mannes mit Bart, schwarzem Anzug und dunklem Mantel

Portät Rudolf Mosse (1843–1920) von Franz von Lenbach, Öl auf Leinwand, 1898; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von George L. Mosse, Foto: Jens Ziehe – mehr zum Objekt in unseren Online-Sammlungen

Diese Kunstsammlung wurde im Jahr 1934 bei zwei Berliner Auktionshäusern versteigert. Zu dem Zeitpunkt waren die Eigentümer, Felicia Lachmann-Mosse, Tochter von Rudolf Mosse, ihr Ehemann Hans sowie die drei Kinder bereits seit über einem Jahr aus Deutschland geflohen und lebten in der Schweiz, in Frankreich und in England. Nach Kriegsausbruch emigrierte die Familie weiter in die USA. Teile der Kunstsammlungen aus den drei repräsentativen Wohnsitzen der Familie konnte sie retten und mit in die Emigration nehmen oder sich nachschicken lassen. Der größte Teil der Sammlungen aber wurde enteignet, verkauft und in alle Winde zerstreut.

Nur sehr mühsam lassen sich die Wege der einzelnen Kunstwerke nachvollziehen. Als ich anfing, nach Informationen zu dem bei uns im Museum befindlichen Gastmahl-Bild zu forschen, war nur bekannt, dass es das Berlin Museum, der Vorgänger des heutigen Jüdischen Museums Berlin, im Jahr 1990 im Westberliner Kunsthandel gekauft hatte. Außerdem war schnell klar, dass es nicht zu den Bildern gehörte, die in einer der beiden Auktionen 1934 verkauft wurden, denn es ist in den dazugehörigen Katalogen nicht erwähnt.

Zunächst prüfte ich alle Unterlagen, die im Jüdischen Museum Berlin selbst zu dem Ölbild existieren. Sie zeigten, dass bereits zum Zeitpunkt des Ankaufs im Jahr 1990 mit einem Nachfahren des ehemaligen Besitzers Kontakt aufgenommen wurde, um von ihm etwas über das Bild zu erfahren. Leider konnte sich Rudolf Mosses Enkel, der amerikanische Historiker George L. Mosse, damals nicht mehr an die Skizze erinnern. Umso lebendiger war seine Erinnerung an das originale Wandbild, das mit seinen riesigen Ausmaßen den Speisesaal im Haus seines Großvaters Rudolf Mosse dominierte. Auch in späteren Jahren wurde vom Jüdischen Museum Berlin immer wieder einmal versucht, mehr über das Bild zu erfahren – jedoch stets ohne Näheres darüber herauszubekommen.

Digitalisat des Titelblatts der "Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin"

Auktionskatalog Lepke, Mai 1934; CC-BY-SA 3.0 DE Universitätsbibliothek Heidelberg. Der Katalog lässt sich auf der Website der Universitätsbibliothek Heidelberg digital durchblättern.

Mein nächster Weg führte mich zum Aktenstudium in die Archive. Im Rahmen der Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsverfahren der Bundesrepublik Deutschland versuchte die Familie Mosse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihren Besitz zurückzubekommen. Daraus wurde ein jahrelanger Kampf, der Unmengen an Akten produzierte. Diese wälzte ich also über mehrere Wochen hinweg im Landesarchiv Berlin und in diversen anderen Behörden, die mit der Rückerstattung und Entschädigung in Berlin beauftragt waren. Aber die Gastmahl-Skizze war nirgendwo erwähnt. Ich versuchte auch über Recherchen in Katalogen, in der zeitgenössischen Literatur, in Kunsthandels- und Bilddatenbanken Spuren des Bildes zu finden. Vergeblich.

Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass Provenienzrecherchen sehr mühselig sind und ohne Erfolg bleiben. Nur in den seltensten Fällen reicht ein Blick in die einschlägigen Datenbanken oder auf die Rückseite eines Gemäldes aus, um zu klären, wer der frühere Besitzer gewesen ist und unter welchen Umständen er es verloren hat.

Maschinenschriftliche Liste mit Kunstwerken und Preis

Rosenhagen-Liste; Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Haberstock Archiv, HB/3/Be/470a

Bei der Gastmahl-Skizze im Jüdischen Museum Berlin fand ich erste Hinweise dann in einer als »Mosse-Nachlass« betitelten Sammlung von Briefen prominenter Persönlichkeiten an Rudolf Mosse und seine Frau Emilie. In einem der Briefe schreibt der beauftragte Maler Anton von Werner, dass er die Skizzen beim Auftraggeber ablieferte. Und in der Online-Sammlung des Leo-Baeck-Instituts befindet sich ein Katalog zur Kunstsammlung von Rudolf Mosse, in dem die Skizze erwähnt wird. Den entscheidenden Beleg aber brachte die Suche im Archiv des Kunsthändlers Karl Haberstock, der mit der Versteigerung der Kunstsammlung Mosse beauftragt war: Dort fand ich eine Schätzpreisliste für die Kunstwerke, die im Frühjahr 1934 versteigert wurden. Auf dieser Liste, im August 1933 in Vorbereitung der Auktionen erstellt, steht die Gastmahl-Skizze. Auch wenn es keinen Nachweis gibt, dass sie bei einer der beiden Zwangsauktionen verkauft wurde, so ist damit doch belegt, dass sich das Bild zu einem Zeitpunkt in dem Berliner Haus befand, als die Familie Mosse selbst schon nicht mehr in Deutschland war. Sie hat also keine Verfügungsgewalt über das Bild oder einen etwaigen Verkaufserlös gehabt. Nach den Richtlinien des Bundes, der Länder und der Kommunen in Deutschland ist somit von einem verfolgungsbedingten Entzug auszugehen.

Darum hat das Jüdische Museum Berlin sich entschlossen, die Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse an die Erbengemeinschaft nach Felicia Lachmann-Mosse zu restituieren. Die Erbengemeinschaft als rechtmäßiger Besitzer erklärte sich nach der Rückgabe aber bereit, das Bild als Leihgabe für ein Jahr im Museum zu belassen. So kann es wie bisher in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin (mehr zur Dauerausstellung auf unserer Website) bewundert werden.

Dr. Heike Krokowski schaut den Gemälden gern auch mal auf die Rückseite.

Kommentiert von David Dambitsch, Journalist am 28. Januar 2017, 12:38 Uhr

Sehr geehrte Frau Dr. Krokowski,
die Art Ihrer Provinienzrecherche ist vorbildlich; ebenso wie die hervorragenden Ausführungen in Ihrer Darstellung derselben. Solchen Umgang wünschte man sich im Umgang vieler Institutionen in Deutschland (von Museen bis zum Kunsthandel)mit Raubkunst, die jüdischen Menschen während der Zeit des NS-Regimes entwendet und abgepresst wurde. Leider ist bis heute zumeist das Gegenteil der Fall. Ich selbst habe in diesem Zusammenhang ein unglaubliches Erlebnis mit einer wunderschönen Bleistiftzeichnung Max Liebermanns von seiner Frau Martha Liebermann im Jahr 2013 -s. Link https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwie0f223-TRAhUBNxQKHRv8BxEQFggeMAA&url=http%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2013%2F50%2Fberliner-auktionshaus-versteigerung-zeichnung-max-liebermann&usg=AFQjCNEtcedH2iwoCQ0vwmMywU1H7i8qOw&bvm=bv.145822982,d.d24
– gehabt. Insofern bestärke ich Sie ausdrücklich in Ihrer Tätigkeit und hoffe, dass sich andere Institutionen daran ein Beispiel nehmen mögen!
Mit freundlichen Grüßen,
David Dambitsch

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