Geboren 1918, zwei Minuten entfernt von der elterlichen Parfümerie am Kurfürstendamm

Fritz Scherk und die Geschichte eines Berliner Familienunternehmens

Ein Kleinkind sitzt auf einem Stuhl und lacht, neben ihm ein reich gedeckter Tisch.

Fritz Scherk an seinem zweiten Geburtstag, Berlin 26. Mai 1920; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

An einem reich bestückten Geburtstagstisch sitzt ein quietschvergnügter Nackedei, der offenbar gerade den Spaß seines Lebens hat. So ein Foto könnte auch heute entstanden sein, dachte ich, als ich in dem Tagebuch, das Ludwig und Alice Scherk für ihren Sohn Fritz geschrieben hatten, dies Bild sah. Nichts dergleichen: das fröhliche Kind wäre heute 100 geworden.

1918 war kein Jahrgang für ein ruhiges Leben, schon gar nicht für ein Mitglied einer deutsch-jüdischen Familie. Eigentlich war das zweite Kind der Familie schon 1916 geplant, drei Jahre nach Geburt des ersten Sohnes, aber der Kriegsausbruch kam dazwischen. Am 26.05.1918 war es aber dennoch so weit: Fritz erblickte neben dem Bechstein-Flügel der Mutter das Licht der Welt – bei kriegsbedingter Kerzenbeleuchtung, nur zwei Minuten entfernt vom elterlichen Geschäft, der Parfümerie Scherk am Kurfürstendamm. Hier übernahm, während der Vater in Kriegsdienst stand, die Mutter den Verkauf und, wie sie stolz festhielt, zeitweise sogar die Produktion – keine Selbstverständlichkeit für eine ausgebildete Sängerin. In die damals dreizehnjährige Nichte des Besitzers der Kosmetikfirma Dr. Albersheim in Frankfurt (»So duftet nichts, was auf der Erde wächst!«) hatte sich 1901 Ludwig Scherk als junger Angestellter verliebt. 1906 ging er nach Berlin, zunächst als Vertreter Albersheims, aber bald gelang es dem klugen Geschäftsmann, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Dem Schritt in die Selbständigkeit folgte 1911 die Heirat, 1913 das erste Kind.

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Parfümerie und Lederwaren Scherk am Kurfürstendamm bei Nacht, Berlin ca. 1930; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk

Alice und Ludwig Scherk waren Menschen, die ihr Leben bewusst gestalteten. Ludwig führte die Firma streng nach dem Motto »Nie Banken – nie Börse – nie Eitelkeiten!«. Er nahm nie Kredite auf, sondern investierte immer nur den Überschuss, beschränkte sich auf wenige, hochqualitative Produkte. Diese wurden in höchst ästhetischen Verpackungen verkauft, für deren gelungene Auswahl Alices künstlerische Begabung garantierte. Ihre Hand ist auch in den Neubauten zu sehen, die Ende der 1920er Jahre entstanden: das von Fritz Höger entworfene Backsteingebäude der Fabrik in der Steglitzer Kelchstraße, das heute noch steht,  die Umgestaltung des Geschäfts am Kurfürstendamm durch Otto Salvisberg und nicht zuletzt die von Ernst Freud entworfene Villa, in die die Familie 1931 zog.

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Innenansicht des von Otto Salvisberg umgestalteten Geschäfts am Kurfürstendamm, Berlin 1928-1938; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk

Ebenso bewusst betrieben die Eltern auch die Erziehung ihrer Kinder. Musik, Sport, Reisen und aufwändig inszenierte Feste, darunter die Geburtstagsfeiern der Kinder, werden in den Tagebüchern geschildert. Auch der schulische Fortschritt und die moralische Entwicklung sind wichtige Themen. Von Beginn an war klar, dass die Söhne die Firma übernehmen sollten. Dass der unternehmungslustige Fritz, der das musikalische Talent seiner Mutter geerbt hatte, wenig Lust zeigte, die ihm vorgezeichnete Laufbahn zu beschreiten, änderte nichts an den Plänen seiner Eltern. So notierte Alice: »Wenn nicht politische Katastrophen es zerstören, so werdet Ihr ein wundervolles Weiterarbeiten u. Weiterbauen als Lebensaufgabe haben. Du meintest zwar neulich bei Tisch: ›Ich möchte nicht Chef sein, ich weiss nicht – ich möchte nicht, dass einer mir gehorchen muss‹ – Dies drückt sehr gut Dein Wesen aus, aber Ihr werdet es hoffentlich so verstehen wie Vati, dass alle ihm gern gehorchen, gerne folgen, gerne mitarbeiten und jeder wie Ihr selbst ein Teil des Ganzen ist.«

Die Fotografie zeigt Ludwig Scherk, im Profil, mit einem Buch in der Hand, auf einem Sofa sitzend

Ludwig Scherk, Berlin 1922; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

Die politischen Katastrophen kamen jedoch. Schon 1923, mitten in der Weltwirtschaftskrise, und unter dem Eindruck von Auftritten Ludendorffs und Hitlers hatten Scherks bereits Pässe für die Auswanderung nach Prag besorgt. Die in New York und andernorts eröffneten Filialen boten auch im Ausland eine Geschäftsgrundlage, aber, wie Alice schrieb, »man hängt ja mit jeder Faser an diesem deutschen Boden«. Dann kam das Jahr 1933. Schon kurz nach dem Machtwechsel erhielt Ludwig Scherk Verkaufsangebote, doch zunächst versuchte er, die Firma zu halten. Alice nahm sich 1934 das Leben.

Schwarz-weiß-Fotogafie: Alice liegt in weißem Kleid und mit Kurzhaarschnitt auf einer Blumenwiese.

Alice Scherk auf einer Wiese, Berlin ca. 1931 – 1934; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk

Wie sein Bruder Walter ging auch Fritz auf väterlichen Wunsch nach Frankreich, um seine Ausbildung zu vervollständigen. 1938 sah sich Ludwig Scherk schließlich gezwungen, die Firma an die Schering AG zu verkaufen. Während der Vater nach London emigrierte, blieb Fritz in Frankreich und trat dort nach Kriegsausbruch der Fremdenlegion bei. Fotos aus dieser Zeit zeigen ihn, obwohl er später die Härte dieser Jahre betonte, in derselben unverwüstlichen Fröhlichkeit, gerne mit Geige oder Akkordeon. »Nun kam der Krieg, und eignes Streben veränderte des Fritzens Leben«, dichtete er humorvoll in späteren Jahren. Was dem Vater der Zusammenbruch seines Lebenswerkes war, scheint für Fritz auch die Befreiung vom aufgezwungenen Erbe bedeutet zu haben. Doch schon bald nach Kriegsende holte es ihn wieder ein. Ludwig Scherk starb unerwartet 1946, schon in den Vorbereitungen seiner Rückkehr nach Deutschland, und Fritz, mittlerweile in Haifa, stellte 1949 einen Restitutionsantrag. Nach langwierigen Verfahren konnte er die väterliche Firma zum Kaufpreis von 1938 zurückerwerben und kehrte auf eindringliches Bitten der früheren Belegschaft nach Berlin zurück, wo er den Wiederaufbau der stark beschädigten Fabrik begann.

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Scherk in der neuen Fabrik: Zwei Fotos vom Wiederaufbau und ein Porträt von Fritz Scherk (1918-1995), Berlin ca. 1951; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

Schon unter Ludwig Scherk hatte ein gutes Betriebsklima geherrscht – Fritz sorgte mit Inbrunst für einen geradezu familiären Zusammenhalt. Die Scherk’schen Firmenfeste waren Legende und zu Nikolaus verteilte der Chef handverlesene und zum Teil selbstgefertigte Geschenke. Parallel gründete er mit seiner Frau Ruth, ebenfalls einer gebürtigen Berlinerin, einen der ersten Montessori-Kindergärten in Berlin.

In den 1960er Jahren geriet die Firma zunehmend in wirtschaftliche Bedrängnis. 1969 verkaufte Fritz Scherk die Firma. Die Produktion wurde nach Braunschweig verlegt. Das Fabrikgebäude erwarb die Freie Universität Berlin. Von unterschiedlichen Firmen vermarktet, lebten die Scherk-Produkte noch fast zwei Jahrzehnte weiter fort. Fritz Scherk wendete sich endlich wieder seinen eigenen Interessen zu, studierte Psychologie und arbeitete als Berater. 1995 starb er während eines Familienbesuches in Jerusalem.

Iris Blochel-Dittrich, Sammlungsdokumentation

Weitere Fotografien aus dem Leben der Familie Scherk finden Sie in unseren Online-Sammlungen. 2010 beschäftigte sich auch eine kleine Vitrinenausstellung im Jüdischen Museum Berlin mit den Kosmetikfirmen Scherk und Dr. Albersheim, mehr zur Ausstellung »Du bist bei Parfümören angekommen« finden Sie auf unserer Website.

Veröffentlicht unter Biografie, Fotografie, Geschichte
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Kommentiert von Irene-Alice Scherk am 28. Mai 2018, 11:40 Uhr

DANKE ,FRAU BLOCHEL !!
Papa hatte 100.Geburtstag vor 2 Tagen..
Ihr Post kam genau richtig .
Liebe Grüße-auch an Frau Maier –
Irene-Alice Scherk

Kommentiert von Navah am 10. Juni 2018, 03:10 Uhr

A beautiful memoir of a beautiful man. He was a “one of a kind”
May he never be forgotten and may his memory be a blessing, always…

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