Hausierer mit Kaftan, Schläfenlocken – und Regenschirmen

Bilder von Juden um 1900

Auch im Sommer kann man sich in Deutschland ja selten darauf verlassen, dass es trocken bleiben wird, spätestens im Herbst – man mag noch gar nicht daran denken – wird der Regenschirm dann wieder zum ständigen Begleiter. In einem deutschen Jüdischen Museum ist er dies ohnehin: Wie der Literaturwissenschaftler Axel Stähler (University of Kent) gezeigt hat, galt der Regenschirm einmal als ein jüdisches Attribut. Der Redaktion von Blogerim gab er nun einen Einblick in seine Beobachtungen zu den Regenschirmen in den Diskursen des wilhelminischen Deutschland.

Herr Stähler, wie sind Sie auf den »jüdischen Regenschirm« gestoßen?

Dunkelhäutiger Mann mit Regenschirm

Mbwapwa Jumbo aus »Briefe aus Neu-Neuland«, in: Schlemiel 1 (November 1903), Nr. 1, S. 2

Den Regenschirm habe ich zuerst in der Hand von Mbwapwa Jumbo gesehen, dem Häuptling von Uganda a.D. – einer fiktiven Figur aus dem illustrierten jüdischen Witzblatt Schlemiel, der als vermeintlicher Korrespondent aus der neuen jüdischen Kolonie fungiert. (1903 hatte die britische Regierung Theodor Herzl das Angebot gemacht, im Protektorat Britisch Ostafrika ein Areal zur jüdischen Besiedlung freizugeben. Das als Uganda-Plan bekannt gewordene Anerbieten war in der zionistischen Bewegung heftig umstritten und wurde 1905 schließlich abgelehnt. Eine konzertierte koloniale jüdische Besiedlung Ugandas fand nie statt, obwohl es schon vorher vereinzelt jüdische Einwanderer gegeben hatte.)

In den insgesamt neun Briefen, die zwischen 1903 und 1907 in der kurzlebigen Zeitschrift erschienen, erzählt der geschwätzige und naiv-liebenswürdige Mbwapwa, wie die ersten jüdischen Kolonisatoren ins Land kommen, die dem orthodoxen Misrachi angehören, und was dann geschieht: In komischer, von Anglizismen und zunehmend auch von Jiddischismen geprägten Prosa, schildert er seine Konversion zum Judentum ebenso wie die aller seiner Landsleute, den Mord an einem eingeschmuggelten Reformrabbiner und die militärische Strafexpedition der Reformer; er berichtet von den politischen und kulturellen Irrungen und Wirrungen in der Kolonie und schließlich vom Entstehen einer zionistischen Bewegung, da Uganda eben nun mal nicht Erez Israel ist.  weiterlesen

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Veröffentlicht von am 16. April 2013 0 Kommentare

Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden

Eine Bestandsaufnahme

Bisher haben literarische Texte über jüdische Themen auf unterschiedliche Weise zur Entwicklung der jüdischen Kultur beigetragen. Einige Texte bezweckten die Dokumentation und Wiederbelebung der mündlichen Überlieferung und des Volksmärchens, um sie vor dem Vergessen zu bewahren (z.B. Martin Bubers Die Erzählungen der Chassidim). Mit anderen wurden jüdische Themen der Mehrheitsbevölkerung Seite aus Nathan Englanders Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank redenzugänglich gemacht (wie Sidney Taylors All-of-a-Kind Family), während wieder andere dem Wiederaufbau einer jüdischen Gemeinschaft vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen von Ritual, Emigration und Verfolgung dienten (so Friedrich Torbergs Die Tante Jolesch: oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten).

Nathan Englander, einer der anspruchsvollsten und provokantesten Autoren der Gegenwart, teilt keine dieser Absichten. Sein neustes Buch, Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden, ist eine Sammlung von acht Kurzgeschichten. Lose zusammengehalten werden sie durch den Titel der ersten Geschichte (der zugleich ein Zitat aus dieser ist), in der es um eine hitzige Debatte über den Genozid geht; der Titel bezieht sich auf Anne Frank nicht als historische Figur, sondern als Metonymie des Opfers. In den Geschichten wird über die Auswirkung jüdischer Themen wie Religion, Holocaust und Israel sowie die moderne jüdische Identität reflektiert. Dabei ist der Blick des Autors der eines Insiders – er wurde 1970 als Sohn jüdisch-orthodoxer Eltern in New York geboren – und zudem kritisch. Mit seinen fesselnden, sehr persönlichen und nahegehenden Geschichten, die an Theaterszenen erinnern und von intensiven Dialogen durchdrungen sind, hinterfragt er die Gültigkeit jüdischer kultureller Praxis:  weiterlesen


Veröffentlicht von am 6. März 2013 2 Kommentare

Der zweite Blick

Manch ein Sammlungsstück, das wir im Jüdischen Museum aufbewahren, erschließt sich erst auf den zweiten Blick – wie diese Fotografie einer Männerrunde, aufgenommen in Lissa in Posen im Jahr 1913.

Foto von Walter Frost mit Freunden, 1913

Fotografie von Walter Frost (1893 – 1968) mit Freunden
Lissa, Posen, 1913
© Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Edith Marcus, geb. Frost

Sie müssen schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, was dort auf dem Tisch liegt: Neben den Spuren trinkfreudiger Geselligkeit ist vorn links eine Ausgabe der Zeitschrift Ost und West zu sehen; weiter rechts steht eine Spendenbüchse des Jüdischen Nationalfonds mit dem Davidstern. Diese Gegenstände machen es möglich, die knapp 9 mal 14 cm kleine Fotografie mit der zionistischen Bewegung in Verbindung zu bringen.

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