R.B. Kitaj (1932–2007)
Obsessionen

Presseinformation

Pressemitteilung von Do, 20. Sep 2012

Erste große posthume Retrospektive im Jüdischen Museum Berlin

Vom 21. September 2012 – 27. Januar 2013

Heute eröffnet das Jüdische Museum Berlin die erste große posthume Retrospektive zum Werk des amerikanischen Künstlers R.B. Kitaj. Die letzte Gesamtschau fand noch zu Lebzeiten des Malers vor 14 Jahren in vier Städten zwischen Oslo und Madrid statt. Die Ausstellung des 2007 verstorbenen Künstlers versammelt Leihgaben bedeutender Museen und Privatsammlungen aus aller Welt, unter ihnen das MoMA in New York, die Tate in London und die Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid. Es werden 130 Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen aus allen Perioden seines Werks gezeigt. Die Ausstellung wandert nach London, Chichester und Hamburg.

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Vom diasporischen Prinzip zur jüdischen Kunst

Das Jüdische Museum Berlin zeigt mit der Retrospektive zu R.B. Kitaj nicht nur einen jüdischen Künstler, sondern einen Künstler, der zeitlebens versuchte, das Konzept einer jüdischen Kunst zu begründen. Dabei orientiert er sich am Prinzip der Diaspora als ureigene jüdische Erfahrung. So steht am Anfang der Ausstellung das diasporische Prinzip mit Kitajs frühen Fragen nach Identität und einem Leben als Außenseiter, als den er sich zeitlebens auch stilisierte.

Seine lebenslange Identifikationssuche zeigte sich schon sehr früh: Er hatte seinen leiblichen Vater nie kennengelernt, wurde mit neun Jahren von seinem jüdischen Stiefvater Walter Kitaj adoptiert. Später bestand er darauf, sich nur noch Kitaj zu nennen und seine Initialen R.B. als Vornamen voranzustellen, in die er den Familiennamen Brooks seiner jüdischen Mutter integrierte.

Schlüsselerlebnis für die Entwicklung einer jüdischen Kunst war für R.B. Kitaj in den 70er Jahren die Lektüre von Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess. Von dem Moment an begann für Kitaj nachweislich eine obsessive, lebenslange Suche nach seiner Position als jüdischer Künstler.

Obsessionen im Werk und Leben Kitajs

Kitaj nannte die Auseinandersetzung mit der „jüdischen Frage“ selbst seine Neurose, sein Krieg, sein Lustprinzip – kurzum seine Obsession. Eine geradezu zügellose Leidenschaft hatte er auch für Bücher – er nannte sich selbst einen Bibliomanen. Er hinterließ eine sehr große, umfangreiche Bibliothek – nur ein Bruchteil seiner Beute nach Streifzügen durch Antiquariate ist in der Ausstellung zu sehen. Aus dem Fundus seiner Bücher stammen zahlreiche Anregungen und Bildmotive, wörtliche und bildliche Zitate und Bildtitel finden sich im gesamten Œuvre. Nicht zuletzt zieht sich auch Kitajs dritte Obsession wie ein roter Faden durch die Ausstellung, sein Schwanken zwischen Begehren und Verehren von Frauen. Nach exzessiven Erlebnissen als Matrose in den Bordellen Südamerikas ließ ihn diese Besessenheit nicht mehr los. Mit ihr und den Grenzen von Gewalt und Sexismus beschäftigt er sich immer wieder in seinen Werken.

Für die große Retrospektive im Jüdischen Museum Berlin stand erstmals das umfangreiche persönliche Archiv R.B. Kitajs aus seinem „Yellow Studio“ in Los Angeles zur Verfügung. Der Nachlass des Künstlers in der University of California Los Angeles (UCLA) birgt wichtige Indizien für die Entschlüsselung seiner vielschichtigen Bilder, die bis heute als verrätselt und provokant gelten.

So präsentiert die Ausstellung erstmals auch Kitajs visuelle und intellektuelle Inspirationsquellen und bezieht sein Arbeitsmaterial mit ein: Bücher, Texte, Fotos, Briefe, Postkarten, Skizzen auf Servietten oder Zeitungsausschnitte, die Kitaj sammelte und in seinem Atelier ausbreitete. Sie werden nach dem Vorbild von Aby Warburgs „Bilderatlas“, auf den sich Kitaj in seinem künstlerischen Verfahren immer wieder bezog, auf 20 runden Tischen zu sehen sein. Jeder Tisch steht in engem Zusammenhang mit jeweils einem Werk Kitajs. So wird deutlich, was Kitaj inspirierte, aus welchen Elementen und nach welchen Vorbildern er seine Werke komponierte. Besucher bekommen damit Einblick in seine Montage- und Verfremdungstechnik.

Dreizehn Themen gliedern in der Ausstellung Kitajs Lebenswerk, sie geben den Räumen ihre jeweilige Bezeichnung. Das Spektrum reicht von seinem Verhältnis zu Freunden und intellektuellen Vorbildern über Fragen nach jüdischer Identität, Reflexionen über Politik und Geschichte bis zu seiner obsessiven und geradezu erotomanen Auseinandersetzung mit Frauen.

Zeit seines Lebens porträtierte Kitaj enge Freunde, Vorbilder und Seelenverwandte. Allein zwei Räume umkreisen diesen großen „Freundeskreis“. Zu ihnen zählten der Maler David Hockney, der Schriftsteller Philip Roth und der Rabbiner Albert Friedlander ebenso wie die intellektuellen Vorbilder Franz Kafka, Hannah Arendt, Sigmund Freud und auch Aby Warburg.

Kitaj schuf komplexe Bilder zu aktuellen Themen aus Politik, Moral und Kultur. Er setzte sich auseinander mit dem Vietnamkrieg, mit der Ermordung Präsident Kennedys oder mit den Auswüchsen von Gewalt und Korruption in den USA und griff dies in seinen motivreich komponierten Gemälden auf. Diese großformatigen Arbeiten im surrealistischen Stil werden in dem Raum „Analytiker seiner Zeit“ ausgestellt.

Seit Mitte der 1970er Jahre positionierte sich R.B. Kitaj explizit als jüdischer Künstler. Zwei Räume der Ausstellung, „Der verborgene und der öffentliche Jude“ und „Obsessionen“, sind Kitajs Auseinandersetzung mit dem eignen „Jüdischsein“ gewidmet: Für Kitaj bildete „die jüdische Frage“ den Kern einer obsessiven, lebenslangen Suche nach seiner Position als jüdischer Künstler. Er fand die Vorbilder vor allem unter den Schriftstellern und Intellektuellen der 1920er Jahre. Zu Schlüsselbegriffen wurden für ihn die „Diaspora“ und das „Diasporische“. Zwei Begriffe, die es ihm ermöglichten, Herkunft, Lebenssituation und künstlerischen Ausdruck mit seinem Judentum zu verbinden. „Katalonien und Diaspora“ und „Die Bibliothek als Heimat als Diaspora“ sind zwei Räume, in denen sein Konzept der Diaspora als „inneres Exil“ verbildlicht ist.

Als Künstler erlebte R.B. Kitaj in Europa seine größten Triumphe und gleichzeitig seine größte Enttäuschung. Zwei Ausstellungsräume, „Tate Krieg“ und „Rückzug“, sind dieser Phase seines Lebens gewidmet. Als die große Retrospektive seiner Arbeiten in der Tate Gallery 1994 eine Flut von negativen Kritiken auslöste, sprach Kitaj vom „Tate War“, der ihn in seiner Position als Außenseiter bestätigte und ihn schließlich zur Rückkehr in die USA bewegte.

Für die Ausstellungsgestaltung zeichnen Holzer Kobler Architekturen (Zürich/Berlin) verantwortlich. Mit betont einfachen Mitteln werden Werk und Leben des Künstlers Kitaj wirkungsvoll präsentiert. Den Auftakt bildet eine großformatige Fotoinstallation im Treppenhaus, die Kitajs „Yello Studio“ in Los Angeles zeigt. In den Ausstellungsräumen steht allein die Wirkung der Bilder im Fokus. Im Kabinett am Ende des Rundgangs bezieht sich die Wandgestaltung auf die Farbwelt des Künstlers. Hier wird in einer langen Vitrine mit Fotografien von Lee Friedlander der Mensch und Künstler Kitaj gezeigt.

Die Ausstellung „R.B. Kitaj (1932-2007) Obsessionen“ ist eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit der Kulturprojekte Berlin GmbH.

Im „Blogerim“ dem neuen Blog des Jüdischen Museums Berlin, finden Sie Beiträge zu R.B. Kitaj von Kuratoren und Mitarbeitern des Museums.

Der umfangreiche Katalog erscheint in einer deutschen und einer englischen Ausgabe. 256 Seiten, 200 farbige Bilder, Vergleichsabbildungen und fünf Klapptafeln, Museumsausgabe 34 €, Presseexemplar 12 €, Kerber Verlag Bielefeld/Berlin 2012, ISBN (dt.): 978-3-86678-697-4, ISBN (engl.): 978-3-86678-697-5.

Der Audioguide begleitet Besucher mit Texten R.B. Kitajs zu ausgesuchten Werken.

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