Veröffentlicht von am 5. Oktober 2012

Dandy und Cowboy

Aby Warburg mit Schnurrbart und Halstuch

R.B. Kitaj, Portrait of Aby Warburg, 1958–1962 © R.B. Kitaj Estate

R.B. Kitaj ist bekannt für seine expressiven, stark farbigen Gemälde und die Retrospektive im Jüdischen Museum zeigt ihn in seiner ganzen Könnerschaft. Doch mir persönlich hat es ein eher unscheinbares Bild angetan. Es ist ein sehr klein, knapp 15 x 13 cm groß, in Grautönen gehalten, wohl mehr eine Studie. Das Portrait of Aby Warburg (1958) zeigt den Begründer der methodischen Ikonografie Aby Warburg (1866–1929). Der Hamburger Bankierssohn, der die Karriere im Familienunternehmen ausgeschlagen hatte, um Kunst- und Kulturwissenschaftler zu werden, war für den Maler Kitaj eine wichtige Inspiration. Warburg untersuchte das »Weiterleben« antiker Motive in der Kunst der Renaissance – so wie auch Kitaj in seinen Gemälden systematisch Kunstwerke vergangener Epochen zitiert.

Als Vorlage für dieses Porträt benutzte Kitaj eine Fotografie, die 1896 in New Mexico entstand, als Warburg dem Schlangenritual der Hopi-Indianer beiwohnte. Neben einem spärlich gekleideten Hopi wirkt Warburg in seinem europäischen Anzug mit Uhrkette etwas fehl am Platz – ein Fremder in der Fremde. Zwei Details stören den Eindruck bürgerlicher Seriosität allerdings: eine Art Cowboyhut und ein lässig geknotetes gestreiftes Halstuch. Kitaj hebt diesen Aspekt des Fotos noch stärker hervor. Sein Ausschnitt zeigt Warburgs Kopf ohne Hut, mit verschatteten Augen, das Gesicht dominiert von einem mächtigen Schnurbart. Er malt Aby Warburg nicht als würdigen Gelehrten, sondern als eine Mischung aus lässigem Dandy und mexikanischem Cowboy, der mir, so bilde ich mir ein, verschmitzt zulächelt: Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet.

Henriette Kolb, Medien

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