Veröffentlicht von am 9. August 2013 0 Kommentare

Ronny Loewy,

10. April 1946 – 9. August 2012

Ronny Loewy (Mitte) mit Louis Malle (r.) und Daniel Cohn-Bendit (l.)

Ronny Loewy (Mitte) mit Louis Malle (r.) und Daniel Cohn-Bendit (l.) bei der Deutschlandpremiere von »Auf Wiedersehen Kinder«, 1987, mit Dank an Gisela Geier-Loewy

Am 9. August vergangenen Jahres ist der Filmhistoriker Ronny Loewy gestorben – er war ein ungewöhnlicher Mensch und ein Freund unseres Museums, der unsere Arbeit von Anfang an unterstützt und inspiriert hat: Er wählte viele der Filmausschnitte aus, die in unserer Dauerausstellung und in der Sonderausstellung »Heimat und Exil« zu sehen waren und sind und gab unter anderem das Filmtagebuch von Tereska Torrès Unerschrocken: Auf dem Weg nach Palästina über die die illegale Auswanderung der Displaced Persons nach Palästina 1947/48 heraus. Ronny war ein Kollege und Freund, mit dem wir nicht nur gearbeitet, sondern auch viel erlebt und gelacht haben, und der uns stets die Augen für Neues, Ungewöhnliches, Vergessenes, Übersehenes, kleine Details in Filmen und Filmchen, und vor allem für die Menschen, die hinter diesen bewegten Bildern standen, geöffnet hat.

Wir möchten deshalb heute, ein Jahr nach seinem Tod, in diesem Blog an ihn und sein Leben erinnern:

Cilly Kugelmann, Programmdirektorin:

»Ronny begeisterte sich für Fußball, Politik und Film. Er hat das jiddische Kino aus der Versenkung geholt und weltweit durch Filmprogramme, Vorträge und zwei Dokumentarfilme bekannt gemacht; er hat den israelischen Film mit mehreren Retrospektiven in Frankfurt eingeführt. Die wohl sichtbarste und wichtigste Arbeit des Fritz Bauer Instituts ist Ronnys ›Cinematographie des Holocaust‹, die umfassendste Datenbank zu diesem Thema, die es weltweit gibt, in der auch noch das kleinste Filmschnipsel dokumentiert und beschrieben ist, einschließlich der Zensurkarten verlorener Filme.
Mit seiner Arbeit hat er das Projekt seines Vaters fortgesetzt, durch die Erforschung und Archivierung einer spezifischen Filmgeschichte dem deutschen Judentum ein Denkmal zu setzen. Seine Arbeit zu den Anfängen des israelischen Kinos ist, an denen viele ›Jekkes‹ maßgeblich beteiligt waren, ist, wie die Exilforschung seines Vaters, eine Verbeugung vor der Kreativität des säkularen, deutschen Judentums. Der Einfluss, den diese Gruppe auf die sich im Jischuw formierende israelische Gesellschaft gehabt hat, untersuchte und dokumentierte Ronny für die Filmgeschichte des jüdischen Palästinas. Seine Familie hatte an diesem Prozess auch randständig teil. Ein Onkel, ein Grafiker aus dem Rheinland, hat die Reinzeichnungen der israelischen Flagge und den Staatsstandarten besorgt, worauf er auf eine selbstironisierende Weise auch irgendwie stolz war. Wir haben diese Arbeiten seinerzeit in der Ausstellung ›Heimat und Exil‹ ausgestellt.«

Mirjam Wenzel, Medienabteilung:

»Ronny Loewy war einer der ersten Filmexperten und -enthusiasten, die ich als angehende Doktorandin bei meinen Recherchen zum ersten Band der neuen Werkedition Siegfried Kracauers, den Kleinen Schriften zum Film kontaktierte. Er half u.a. bei der Identifikation zweier Filme, die vom Keren Kayemeth Le-Israel im Jischuw gedreht wurden und gemäß den standardisierten Filmangaben unserer Edition mit einem Länderkürzel für das britische Mandatsgebiet Palästina zu versehen waren. Angesichts der Frage, ob wir unsere eigene Standardisierungsrichtlinien verlassen und zur Kurzform ›Palästina‹ greifen oder ein politisch korrektes und von Ronny quasi autorisiertes Kürzel verwenden sollten, entschieden wir uns damals für letzteres. Wir versahen die Filmangaben also mit dem erratischen Zeichen ›P9‹ und einer erklärenden Fußnote – ohne zu wissen, dass wir damit ein Kürzel veröffentlichten, dass bislang lediglich in der offline-Version der Datenbank ›Cinematographie des Holocaust‹ verwendet wurde. Ronny hat diese Adelung eines willkürlichen Zeichens später noch häufiger süffisant kommentiert – sie hielt auch in andere Publikationen Einzug.«

Signe Rossbach, Veranstaltungskuratorin:

»Ronny Loewy war ein Mensch, der durch seinen Enthusiasmus und seine Leidenschaft manchmal richtig schweben, abheben, fliegen konnte – mit einem schelmischen Blitzen in den Augen. Wir waren zusammen in Paris, um Tereska Torrès, die Schriftstellerin und Ehefrau von Meyer Levin, für das Buch Unerschrocken zu interviewen. Auf dem Weg kamen wir durch die Straße, in der die letzte Szene von Außer Atem gedreht worden ist. Ronny stellte nach, wie Belmondo beim Laufen in den Rücken geschossen wird, Ronny lief also los und krümmte sich, strauchelte, während er gleichzeitig links und rechts auf die Hausdächer zeigte, auf denen die Kameras positioniert waren, die die vielen verschiedenen Blickwinkel der Szene ermöglichten. Eine anschaulichere Lektion über einen der großen Momente der Filmgeschichte habe ich nie erhalten.
Einige Jahre später habe ich im Internet nach Dokumenten zu meinem amerikanischen Großvater geforscht, der in den 1950er und 60er Jahren Nachrichtensprecher des New York Times Radio WQXR gewesen war. Das allererste Suchergebnis brachte mich auf die Seite der ›Cinematographie des Holocaust‹ und zu einem kurzen Propaganda-Film über den entstehenden jüdischen Staat in Palästina, Gateway to Freedom, 1946, Regie: Paul Victor Falkenberg, Sprecher: Albert Grobe. Ein weiterer Klick, und die schöne, volle Stimme meines Großvaters, ein Sprecher der alten Schule, kam aus dem Lautsprecher in meinem Büro in Berlin. Ich habe es damals als persönliches Geschenk von Ronny empfunden, dass er mir – ohne sein Wissen – meinen Großvater und damit einen Teil meiner Kindheit wiedergegeben hat.«

Dagmar Ganßloser, Medienabteilung:

»Seit Mitte der 1990er Jahre, damals noch im Frankfurter Fritz Bauer Institut, und später, als ich längst hier im Museum tätig war, hatten wir immer mal beruflich Kontakt. Wirklich beeindruckend war, mit welcher Großzügigkeit Ronny sein Wissen zur Verfügung stellte. Man musste ihn nur fragen, dann bekam man umgehend eine freundliche, hilfreiche Antwort. Einfach so.
Auch auf der Berlinale haben sich unsere Wege oft gekreuzt – plötzlich taucht Ronny aus der Masse auf, mit etwas Glück war sogar Zeit für einen Kaffee, und – zack! – war Ronny wieder verschwunden, auf zu neuen Taten.
Seit einem Jahr ist er nun endgültig weg; kein Mensch weiß, wohin. Klar ist, dass er sehr, sehr fehlt. Und dass ich mich gern an ihn erinnere.«

Nachtrag: Nur wenige Wochen nach Ronny Loewy, am 20. September 2012, starb die unerschrockene Tereska Torrès Levin im Alter von 92 Jahren in Paris. Vgl. den Nachruf in der FAZ.

Veröffentlicht unter Film, Geschichte, Im Jüdischen Museum Berlin
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