Über den Golem

Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM

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David Musgrave

Meine Spielzeuge waren nicht alle gleich. Eines von ihnen hatte ein Bewusstsein und vermittelte zwischen mir und all den anderen. Bestimmte Spielzeuge, die ich gerne gehabt hätte, die aber unerschwinglich waren (ein sechsbeiniges Monster, das laufen konnte; ein Roboterfahrzeug), wünschte ich mir vor allem als Bestandteile der Welt dieses einen, besonderen Spielzeugs.

Es war kein zweites oder Ersatz-Ich. Es war ein eigenständiges Wesen, von mir verschieden, mit eigenem Erleben. Meine Rolle bestand darin, für diese Kreatur die bestmöglichen Erlebnisse zu schaffen. Ich hatte das Gefühl, genau zu wissen, was für Erlebnisse das sein mussten, aber ich weiß nicht mehr, woher dieses Wissen kam. Man könnte mein Bewusstsein dafür vielleicht als grundlegendes Netzwerk beschreiben, das an zwei Orten zugleich angesiedelt war. Das privilegierte Spielzeug war darin ein Mittler zwischen einer gegenständlichen Welt, die aus und für Objekte bestand, und meiner davon grundsätzlich unterschiedenen menschlichen Wahrnehmung.

Viele Jahre später, an der Kunsthochschule, stieß ich in Richard Kearneys Buch The Wake of Imagination auf eine Analyse der Golem-Legende. Der Mythos schien mir in seiner Struktur sofort vertraut, doch wurde er hier aus einer kritischen Distanz betrachtet, die mir half, ihn neu zu begreifen. Das dürfte der Moment gewesen sein, in dem sich die Idee des Golem für mich zu einem Thema fügte, das meine künstlerische Arbeit seit mindestens zwanzig Jahren durchzieht und prägt.

Hellbraunes, handspiegelförmiges, hellbraunes Objekt, auf dem mit Nieten beigefarbene kleinere Flächen angebracht sind.

Paper golem no. 5
David Musgrave, Großbritannien, 2010
Aluminium, Acrylfarbe, Stahlhalterungen, 23 x 11,5 x 3 cm
Foto: Marcus Leigh, Courtesy of greengassi, London

Mitte der 1990er verfolgten mich am College die Diskussionen, die den Gegenstand in der Kunst auf eine Ware reduzierten und die letztendlich auf Praktiken der relationalen Ästhetik und auf kuratorische Ansätze hinausliefen. Gegenständliches war erlaubt – solange die Objekte als Kennzeichen konzeptueller Bewegungen dienten. Es mag nicht zu Ende gedacht sein, aber der Golem-Mythos war für mich ein Weg, die Spannung zwischen Material, Narrativ und Vorstellung in einer vollständigen, wenn auch unruhigen Form zu halten: ein Weg, an den Dingen festzuhalten trotz der Gerüchte, ihre Zeit sei abgelaufen.

Beim Erschaffen eines Golems – was für mich heißt, etwas aus einem Material herauszukitzeln, das mehr ist als bloß eine vage menschliche Form, aber weniger als die überzeugende Nachbildung eines Lebewesens – gibt es einen Augenblick, in dem das Material flimmert. Zugleich ist es und ist es nicht; Bild und Stoff werden zu Polen, zwischen denen ein Strom fließt. Ich glaube, dies ist Teil des menschlichen Erlebens von Schauen und Schaffen und nicht Folge einer Einbringung in den Diskurs oder irgendeines speziellen Zusammenhangs; zudem ist es charakteristisch für die Anordnungen und Begegnungen, für die der Golem-Mythos so einen schönen Rahmen bildet.

Meine Golems sind meist entweder sehr klein oder sehr groß – jeweils jenseits des Vertraut-Menschlichen. Sie dienen weder zur Verteidigung, noch haben sie irgendeine praktische Funktion. Sie gleichen eher 'pataphysischen Maschinen: Bildnisse, die als imaginäre Lösungen für reale Probleme existieren. Ich plane nicht, die Ausweitung dieses Netzwerks abzubrechen.

David Musgrave lebt und arbeitet in London. Seine Arbeiten sind Teil öffentlicher und privater Sammlungen in der ganzen Welt, unter anderem der Tate, des MoMA und des Hammer Museums. 2015 erschien sein Roman Unit.

Anthropomorphe Figur aus grauen Fetzen, die von Nieten zusammengehalten werden.

Machinic figure
David Musgrave, Großbritannien, 2012
Aluminium, Acrylfarbe, Stahl, Nylonhalterungen, 42 x 19 x 10,2 cm
Foto: Marcus Leigh, Courtesy of greengassi, London

Citation recommendation:

David Musgrave (2016), Über den Golem . Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4696

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