Hannoveraner Schulen, ein Jerusalemer Hotel und die Suche nach dem Zusammenhang

Ein Austausch zur antisemitismuskritischen Erwachsenenbildung

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Mit dem schönen Monat Mai endete auch mein W. Michael Blumenthal Fellowship zum Thema Didaktik des Nahost-Konflikts am Jüdischen Museum Berlin. Während der siebzehn Monate befasste ich mich intensiv mit Fortbildungen zu diesem politisch umkämpften und emotional sehr stark aufgeladenen Thema und mit der Frage, was man als Politiklehrer*in oder Pädagog*in in der nichtschulischen Bildungsarbeit können, tun oder auch lassen sollte, um den Nahost-Konflikt gut mit Jugendlichen zu bearbeiten.

Im Rückblick war eines der Highlights der Fachaustausch, den ich Anfang April 2018 organisierte, um Fortbildner*innen mit dem Themenschwerpunkt Nahost-Konflikt und Antisemitismus und Mitarbeiter*innen des Museums aus den Bereichen Bildung und Akademieprogramme zusammenzubringen. Seit dem ersten Fachaustausch im September 2017 hatten sich die Rahmenbedingungen etwas verändert, da die Eröffnung der Ausstellung Welcome to Jerusalem Ende 2017 den Nahost-Konflikt im Jüdischen Museum zu einem (noch) präsenteren Thema werden ließ. Und umso wichtiger schien es mir, den Austausch von Erfahrungen, Herangehensweisen und Perspektiven unter Multiplikator*innen zu fördern, denn ein solcher Austausch sichert die Qualität der politischen Bildungsarbeit. Und wie schon beim ersten Fachaustausch war es aufschlussreich, Perspektiven von innerhalb und außerhalb des Museums zusammenzudenken.

Zunächst stellte uns der Doktorand Christoph Wolf, der an der Universität Hannover zu Lehrervorstellungen von Antisemitismus forscht, erste Befunde seiner Arbeit vor: Er befragte zwölf Lehrer*innen an Gymnasien aus Hannover und Umgebung zu ihren Erfahrungen mit Feindschaft gegen Juden*Jüdinnen an Schulen und ihrem Verständnis von Antisemitismus.

Neun Personen sitzen um einen Tisch

Diskussion der Teilnehmer*innen; Foto: Berivan Köroğlu

Sein ursprüngliches Anliegen war, aus didaktischer Perspektive das Lehren und Lernen zum Nahost-Konflikt zu untersuchen, denn Hintergrundwissen über den Konflikt wird oft als ein Mittel betrachtet, antisemitischen Einstellungen vorzubeugen oder ihnen entgegenzuwirken. Hierfür wollte Wolf nun in einem ersten Schritt die bei den Lehrer*innen vorherrschenden Vorstellungen über Antisemitismus erfassen. Die Ergebnisse der laufenden Forschung, die als qualitative Untersuchung angelegt ist, können natürlich nicht vorweggenommen werden, aber zwei Beobachtungen decken sich mit den Erfahrungen der Fortbildner*innen und Mitarbeiter*innen des Museums: Erstens verstehen die befragten Lehrkräfte unter Antisemitismus vor allem judenfeindliche Klischees und Vorstellungen, die dem Nationalsozialismus und dem Neonazismus bzw. dem rechten Spektrum entstammen. Zweitens sehen sie einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Nahost-Konflikt nur bei „Geflüchteten“, d.h. vor allem Schüler*innen aus Syrien und ihren Familien. Diese Einschätzung der Befragten entspricht den medialen Diskursen der letzten drei Jahre, seit dem „Sommer der Migration“ (anderen als „Flüchtlingskrise“ in Erinnerung). Vorher standen in medialen und fachlichen Diskursen „Migranten“ und „Muslime“ als Träger*innen von Antisemitismus im Zentrum der Betrachtung. Zwar bedeutet beides, dass zeitgenössische Ausprägungen von Antisemitismus aus dem (herkunfts-)deutschen Kontext herausgelöst und statt dessen „den Anderen“ zugeschrieben und damit externalisiert werden. Dass die Beobachtungen im Klassenzimmer aber so unmittelbar den Schlagworten der Medien folgen, überrascht. Aus diesem Grund bin ich wirklich sehr gespannt auf die Dissertation von Christoph Wolf, die hoffentlich tiefere Einblicke in die genauen Begründungsmuster der Befragten liefern wird.

Beim Besuch der Ausstellung Welcome to Jerusalem erhielten wir eine kurze Einführung durch einen Mitarbeiter der Bildungsabteilung. Zentrales Thema der Ausstellung ist die der Stadt zugeschriebene Heiligkeit, aus diesem Grund wird der jüdisch-arabische oder israelisch-palästinensische Konflikt in der Ausstellung überwiegend indirekt thematisiert und nur in einem Raum explizit in den Blick genommen. Unsere Aufgabe bestand jedoch darin, die Ausstellung entgegen ihrer Grundkonzeption quer zu lesen und dabei unsere Aufmerksamkeit auf die folgenden Fragestellungen zu richten: Wo finden sich weitere direkte oder indirekte Anknüpfungspunkte zum Konflikt? Laden sie zu einer vertiefenden Thematisierung ein oder können sie sich auch als problematisch erweisen?

Einige Personen umringen eine Person, die zu ihnen spricht

Ein Mitarbeiter aus dem Bereich Bildung, führt die Teilnehmer*innen des Fachaustauschs in die Ausstellung Welcome to Jerusalem ein; Foto: Berivan Köroğlu

Einer der Teilnehmer*innen wies zunächst einmal auf mögliche Anknüpfungspunkte zu klassischen antisemitischen Denkmustern hin: Wer, wie weit verbreitet, mit verschwörungstheoretischen Deutungsmustern die Welt interpretiert und von einer Lenkung der Politik durch „die Juden“ ausgeht, kann in den großformatigen Fotografien, die Benjamin Netanjahu mit Donald Trump und Angela Merkel bei Gesprächen in teuren Jerusalemer Hotels zeigen, eine Bestätigung seiner Weltsicht finden. Nicht nur in rechten Milieus wird die Kanzlerin als schwache Führungsfigur kritisiert, die anderen Interessen als den vermeintlich deutschen diene. Im antisemitischen Weltbild bilden solche Imaginationen den Übergang zum israelbezogenen Antisemitismus: Nicht (bzw. nicht nur) „den Juden“, sondern Israel wird unterstellt, die Geschicke der Nationen zu deren Unglück zu lenken.

Andere der eingeladenen Fortbildner*innen sahen in einzelnen Ausstellungsobjekten oder Arrangements eine Bevorzugung von palästinensischen bzw. arabischen (National-)Perspektiven auf den Konflikt und demgegenüber wenig Thematisierung der israelischen Sichtweise, u.a. in dem Raum, der Kunstinstallationen zeigt: Beispielsweise zeigen Fotografien eindrucksvoll die hässlichen Seiten der israelischen Sicherheitsanlage und erzeugen negative Gefühle dazu, während der Rückgang von Selbstmordattentaten nicht thematisiert ist. Leider war zu wenig Zeit, diese Punkte umfassend zu diskutieren oder gemeinsam darüber nachzudenken, was die Wahrnehmung der Fortbildner*innen für die Arbeit der Museumsguides bedeuten könnte.

Zeitmangel war auch der Grund, warum ein dritter, ursprünglich geplanter Programmpunkt entfallen musste: Gerne hätte ich mit den Expert*innen der verschiedenen Bildungsträger auch diese Fragen diskutiert: Was genau ist eigentlich der Zusammenhang zwischen Nahost-Konflikt und Antisemitismus? Warum bzw. wie sollen Kenntnisse über das Konfliktgeschehen oder seine Genese, über Interessen oder Friedensinitiativen Antisemitismus entgegenwirken? Und welche Rolle sollen Lehrer*innen und Pädagog*innen dabei spielen? So musste ich die Fragen wieder mitnehmen und kann sie – und vielleicht auch erste Antworten – ins Zentrum meiner Ergebnispräsentation setzen, die nun ansteht.

Wie schon der erste Fachaustausch lieferte auch das zweite Treffen eine weitere wichtige Einsicht: Ein solcher Fachaustausch gibt neue Ideen und regt zum Überdenken der eigenen Bildungspraxis an und sollte häufiger stattfinden!

Rosa Fava bedankt sich an dieser Stelle ganz herzlich bei der Berthold Leibinger Stiftung und beim Jüdischen Museum Berlin, die ihr das W. Michael Blumenthal Fellowship ermöglichten – und allen daran Beteiligten.

Wand mit sechs großformatigen, gerahmten Fotos. Im Vordergrund Sessel und Tische, der Raum wirkt wie eine Hotellounge

Ausstellungsraum aus Welcome to Jerusalem; an der Wand hängen u.a. Fotos von Benjamin Netanjahu mit Donald Trump und Angela Merkel

Citation recommendation:

Rosa Fava (2018), Hannoveraner Schulen, ein Jerusalemer Hotel und die Suche nach dem Zusammenhang. Ein Austausch zur antisemitismuskritischen Erwachsenenbildung.
URL: www.jmberlin.de/node/6457

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