Horror und Magie

Einleitung zu Kapitel 5 des Ausstellungskatalogs GOLEM

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Martina Lüdicke

Als berühmteste filmische Adaption der Golem-Erzählung gilt Paul Wegeners Stummfilm Der Golem, wie er in die Welt kam von 1920. Wegener war vom Golem-Motiv fasziniert, drei Filme widmete er dem Thema, in allen spielte er die Hauptrolle und gab der Figur damit eine unauslöschliche Gestalt. Der starke, ungelenk-roboterhafte Golem mit der markanten Frisur prägt Darstellungen in Kunst und Film bis in die Gegenwart. Das Kostüm entwarf der Bildhauer Rudolf Belling schon für Wegeners ersten Golem-Film von 1915, der bis auf Fragmente verschollen ist. Die Filmhandlung verlegte der Filmemacher auf budgetären Druck seitens der Produktionsfirma in die Gegenwart. Als Golem-Schöpfer agiert hier ein Antiquitätenhändler, der mit Hilfe des überlieferten, magischen Zauberspruchs seine riesige Tonfigur lebendig macht. Schon diese frühe Version betont die bedrohlichen und monsterhaften Züge des Golem. Der zweite Film, eine Komödie mit dem Titel Der Golem und die Tänzerin von 1917, persifliert die Figur eines Schauspielers, der sich bemüht, einen Golem darzustellen. Auch dieser Film ist verschollen.

1920 gelingt Paul Wegener mit seinem dritten Golem-Film ein Meisterwerk, der den Golem buchstäblich in die Welt bringt. Wegener verwendet Motive der historischen Golem-Erzählungen aus Chelm und Prag und collagiert sie mit Bildern des Faust-Mythos ‒ und mit der Filmarchitektur von Hans Poelzig, die Wegener in einem Interview beschreibt: „Es ist nicht Prag, was mein Freund, der Architekt Poelzig, aufgebaut hat. Sondern es ist eine Stadt-Dichtung, ein Traum, eine architektonische Paraphrase zum dem Thema Golem. Die Gassen und Plätze sollen an nichts Wirkliches erinnern, sie sollen die Atmosphäre schaffen, in der der Golem atmet.“ Der Film gilt als Meilenstein des Horror-Genres und hat unterschiedlichste Inkarnationen des Golem oder ihm verwandter Figuren beeinflusst: Vom Klassiker Frankenstein (1931) bis hin zu den Simpsons in You gotta know when to Golem (2006).

Einen neuartigen Golem-Typus prägte die tschechisch-französische Verwechslungskomödie Der Kaiser und sein Bäcker (1951) des Regisseurs Martin Frič. Vor allem in Prag inspirierte die klobige, organisch-massige Golem-Maschine, entworfen vom tschechischen Bildhauer Jaroslav Horejc, zahllose Souvenir-Figuren und Golem-Memorabilia. Der groteske Golem trägt kaum noch menschliche Züge, wird er zum Leben erweckt, zum Beispiel, um in der Prager Hofbäckerei mehr Brot zu backen, rauchen seine Augen. Um ihn zu aktivieren braucht es keine Buchstabenkombinationen mehr, eine magische Kugel genügt. Die Figur spielt mit den Mitteln der Komödie auf die Verbindung von mythischer Golem-Gestalt und neuartigen Technologien an und steht in einer Reihe von Filmen, die den künstlichen Menschen, seine Schöpfung, seine Macht und seine Unkontrollierbarkeit zum Thema haben.

Martina Lüdicke ist Literaturwissenschaftlerin und Ausstellungskuratorin am Jüdischen Museum Berlin. Als Kuratorin arbeitete sie an den Sonderausstellungen Weihnukka, Heimatkunde, Die ganze Wahrheit... was Sie schon immer über Juden wissen wollten und Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung.

Citation recommendation:

Martina Lüdicke (2016), Horror und Magie. Einleitung zu Kapitel 5 des Ausstellungskatalogs GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4705

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