Veröffentlicht von am 15. Juli 2013 0 Kommentare

Eva Menasses Roman Quasikristalle:

Ein Gespräch in der Blogredaktion (Teil II)

Redaktionssitzung im Jüdischen Museum Berlin © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michael Butschkau

Redaktionssitzung im Jüdischen Museum Berlin
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michael Butschkau

Naomi Lubrich: Wir haben uns ja kürzlich über Eva Menasses Roman Quasikristalle unterhalten, aber noch nicht geklärt, wer von uns das Buch jetzt für Blogerim rezensiert. Ich persönlich hätte schon Lust dazu und einiges zu sagen, sowohl zur jüdischen Thematik wie auch übrigens zu Menasses Frauenbild, das ich unrealistisch und ideell überzeichnet fand. Xane ist regelrecht die Karikatur einer »Powerfrau«: eine fürsorgliche Mutter und Stiefmutter von drei zum Teil schwererziehbaren Kindern, gleichzeitig eine tonangebende Filmekünstlerin und einflussreiche Intellektuelle. Währenddessen führt sie eine harmonisch-komplikationsfreie Ehe, lässt sich aber auch auf zahlreiche weitere Männer ein…

Mirjam Bitter: Ich fand die Idealisierung von Menasses Heldin ebenfalls zunehmend schade. In den ersten Kapiteln schwankte die Beschreibung der Hauptfigur noch zwischen Durchschnittlichkeit und Mystifizierung. Es wurde auch deutlich, dass alle Aussagen über sie von der jeweiligen Figurenperspektive des Kapitels geprägt werden. Aber je mehr der Text fortschreitet, desto mehr verschenkt er das Potential seiner Konstruktion und seines Titels. Statt eines Quasikristalls mit scheinbar ungeordneter Struktur läuft es doch immer mehr auf ein kristallklares und idealisiertes Bild von Xane heraus. Zwar fallen die Bewertungen von Xanes Leben durch die verschiedenen Erzählerstimmen unterschiedlich aus, aber diejenigen, die sich negativ äußern, entlarven sich damit vor allem selbst (die Stieftochter als pubertäres Monster, Xanes Angestellter als männlicher Selbstüberschätzer und Krystyna als nachtragende, Hilfe verweigernde Freundin).

Auch dass Xane im siebten Kapitel plötzlich selbst spricht, fand ich schade. Es hätte mich mehr überzeugt, sich das Bild der Figur nur aus den Außenperspektiven zusammenreimen zu müssen. Aber vielleicht war die Ich-Perspektive notwendig, um das Thema postnatale Depression und weibliche Midlife-Crises zu erzählen? Vielleicht ist sogar die idealisierende Figurenzeichnung letztlich eine Hilfe, solche Themen wie Fehlgeburten aufzugreifen, ohne ein larmoyantes Buch zu schreiben? Ob es ein Ideal ist, im Alter zwar nochmal einen Typen abzukriegen, sich aber mit der besten Freundin zerstritten zu haben, steht außerdem in Frage.

Buchcover Quasikristalle

Buchcover

Mirjam Wenzel: Ich teile eure Kritik nicht, dass die Figur unrealistisch konzipiert sei oder idealisiert dargestellt werde. Meiner Ansicht nach kommt dieser Eindruck durch die Konstitution des Romans, also die verschiedenen Perspektiven zu Stande, unter denen die Hauptfigur in den Blick genommen wird. Denn diese Perspektiven basieren – wie etwa die Metapher des Spiegels unterstreicht – durchaus auf voyeuristischen Zuschreibungen und Projektionen. Dass Xane nach dem misslungenen Liebesabenteuer selbst zu Wort kommt, um ihrerseits das Gelingen des Liebesabenteuers ihrer Freundin zu antizipieren, stellt einen Bruch in der Konstitution des Romans dar, der genau auf eben diesen Zusammenhang zwischen Erzählung, Projektion und Begehren hinweist. Es ist eben diese Trias, die den Roman einen Bogen von der ersten bis zur letzten Liebe schlagen lässt und die einzelnen Kapitel im Innersten zusammenhält.

Was unsere Rezension angeht: Wie wäre es, wenn wir einfach unser Gespräch verschriftlichen und im Blog veröffentlichen? Mit etwas Glück führen unsere Leserinnen und Leser das Gespräch dann im Kommentarmodus fort.

Eva Menasse, Quasikristalle, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013.

Veröffentlicht unter Junge jüdische Autor*innen, Literatur
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