Ein Haus auf Reisen

Unsere nächste Sonderausstellung »Alles hat seine Zeit. Rituale gegen das Vergessen« wird ab 18. Oktober zu sehen sein. Es handelt sich um eine Übernahme aus München, wo die Ausstellung großen Erfolg hatte. Wir haben deshalb den Direktor des Jüdischen Museums München, Bernhard Purin, um einen Gastbeitrag für unseren Blog gebeten. Er stellt uns ein Ausstellungsstück vor, das zum heute Abend beginnenden Fest passt:

Oblate, die eine Familie in der Sukka darstellt mit Link zur Sammlungsdatenbank

Oblate, die eine Familie in der Sukka darstellt,
aus unserer Sammlung

Das Laubhüttenfest (hebräisch ›Sukkot‹ von ›Sukka‹ = Laubhütte) wird in diesem Jahr vom 19. bis zum 25. September gefeiert. Es gehört mit Pessach und Schawuot zu den drei Wallfahrtsfesten und erinnert an die 40-jährige Wanderung der Israeliten in der Wüste nach dem Auszug aus Ägypten. Das 3. Buch Mose (23: 42-43) gebietet:

»Sieben Tage lang sollt ihr in Hütten wohnen. Alle Einheimischen in Israel sollen in Hütten wohnen, damit eure kommenden Generationen wissen, dass ich die Kinder Israels in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus Ägypten herausführte – ich, der Ewige, bin euer Gott.«

Zur Erfüllung des Gebots werden Hütten errichtet, deren Dach mit Laub bedeckt ist. Im deutschen Landjudentum waren diese Laubhütten häufig in Wohnhäuser unter dem Dach eingebaut, wie es etwa im Jüdischen Museum Franken in Fürth oder seiner Außenstelle in Schwabach der Fall ist. Es gab aber auch mobile Laubhütten, die vor den Feiertagen im Garten aufgebaut wurden und während des restlichen Jahres zerlegt gelagert werden konnten. Eine solche Laubhütte hat sich in Baisingen, einem Dorf mit einer ehemals großen jüdischen Gemeinde bei Rottenburg am Neckar, erhalten.

Die »Baisinger Laubhütte« wurde seit den 1920er Jahren von der Metzgersfamilie Giedeon verwendet. Als nach der Deportation der letzten Baisinger Jüdinnen und Juden deren Hinterlassenschaften versteigert wurden, gelangte sie in den Besitz eines nichtjüdischen Baisingers. Sie wurde als Hühnerstall und später auch als Werkzeugschuppen verwendet. In den 1980er Jahren wurden Studierende des Tübinger Ludwig-Uhland-Instituts im Rahmen eines Projekts zum Nationalsozialismus im Landkreis Tübingen auf die Laubhütte aufmerksam und erwähnten sie in einem Ausstellungskatalog und einer Magisterarbeit. Ihr Wert als Kulturdenkmal wurde damals jedoch nicht erkannt.

Foto der Baisinger Laubhütte, Fenster, Tür und Dach sind geöffnet

Die Baisinger Laubhütte
© Stadtverwaltung Rottenburg am Neckar

Die Laubhütte geriet wieder in Vergessenheit und diente weiter als Werkzeugschuppen. Als ich im Jahr 2000 mit einem Kollegen aus Israel eine Studienreise zu süddeutschen Landsynagogen unternahm, kamen wir auch nach Baisingen, wo wir die zu einer Gedenkstätte gestaltete Synagoge besichtigten und bei einem Rundgang durch das kleine Dorf auch auf die Laubhütte stießen. Einige Tage später machte ich den damaligen Direktor der Außenstelle Tübingen des Landesdenkmalamtes, Prof. Hubert Krins, auf sie aufmerksam. Er setzte sich engagiert für die Rettung der Laubhütte ein, die schließlich von der Stadt Rottenburg erworben, aus Mitteln der Denkmalpflege restauriert und als bewegliches Kulturdenkmal in das Baden-Württembergische Denkmalbuch eingetragen wurde. Seither wird sie immer wieder in der ehemaligen Synagoge Baisingen ausgestellt. Und nun ist die »Baisinger Laubhütte« zum ersten Mal auf eine Reise gegangen und ist ab dem 18. Oktober in der Ausstellung »Alles hat seine Zeit« im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.

Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München

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