Veröffentlicht von am 18. März 2016 0 Kommentare

Boris Lurie & ich

Ein Gastbeitrag von Rudij Bergmann

Im Begleitprogramm unserer aktuellen Ausstellung »Keine Kompromisse! Die Kunst des Boris Lurie« hat am 21. März 2016 ein Film von Rudij Bergmann Premiere (weitere Informationen in unserem Veranstaltungskalender). In diesem Gastbeitrag erzählt uns der Filmemacher, wie es zu der sehr persönlichen Dokumentation über Boris Lurie kam.

Schwarz-Weiß-Fotografie Rudij Bergmanns beim Fotografieren mit dem Handy

Rudij Bergmann im Depot der Boris Lurie Art Foundation in New York
Foto: Benjamin Donath

Als ich den Künstler im Zwielicht eines Hausflurs in der 66th Street, East, in New York erstmals sah, da war sie greifbar nahe, seine Sehnsucht nach Europa. Und als wir die Atelier-Wohnung betraten – diese atemberaubende Collage der Erinnerung – da war mir klar: Boris Lurie hatte die Konzentrationslager, die er gemeinsam mit seinem Vater überlebte, mental niemals ganz verlassen.

Das war im Oktober 1996. Ein Film für mein, von mir in allen Belangen selbst zu verantwortendes TV-Kunstmagazin BERGMANNsART war der Grund, zu Lurie nach New York zu eilen. (Der Film ist mit Altersbeschränkung auf YouTube zu sehen.)

Es war der Beginn einer langen Freundschaft. Viele Reisen und Begegnungen folgten. Diskussionen wurden geführt, Faxe geschrieben, mancher Artikel besprochen. Ein neuer umfassender Film erdacht. Boris war in den letzten Lebensjahren bedenklich oft krank gewesen. Dann kam 2008 der Tod. Ungelegen, wie man aus Trauer spottet.

Der Fluxus- und Happening-Künstler Wolf Vostell hatte mich 1995 auf die verstörenden Bildwerke Luries aufmerksam gemacht: Der hatte die Schönen und die Nackten, die Vergasten und die Entkommenen zu seinem, wenn auch nicht zum einzigen, künstlerischen Thema gemacht. Stets auf des Messers Schneide, jonglierend im Minenfeld voyeuristischer Lust und puren Entsetzens. In Kunst und Leben kapitulierte Lurie weder vor dem einen noch vor dem anderen.

Um die Freundschaft von Boris Lurie und Wolf Vostell zu ehren und um an sie zu erinnern, habe ich ungeplant, geradezu anarchisch-spontan, im sprichwörtlich letztmöglichen Moment drei Fluxus-Musik-Miniaturen von Vostell in meinen neuen Boris-Film übernommen.

Trailer zu The Art of Boris Lurie von Rudij Bergmann; Boris Lurie Art Foundation NYC, USA & BERGMANNsArt, Mannheim, Germany

Dank und im Auftrag der Boris Lurie Art Foundation sowie deren Direktorin Gertrude Stein – Boris’ Galeristin und seine engste Vertraute – kann ich, zwanzig Jahre nach dem in Manhattan gedrehten Short-Movie, nun meinen fast einstündigen Film The Art of Boris Lurie als DVD präsentieren.

Einen Film, dessen erste Aufnahmen 1996 in New York gemacht wurden; die letzten im Februar 2016 im Jüdischen Museum Berlin. Unterschiedliche Zeiten und Situationen. Vor und nach dem Tod des Künstlers. Verschiedene Kameraleute. Differierende Materialien. Und, je nach Neigung und Notwendigkeit, auch Aufnahmen von mir mit meiner DRC – the director’s camera – einem »aufgerüsteten« iPhone. All diese widerstrebenden Formate verbindet der gemeinsame Blick auf Boris Lurie und seine Kunst. Sie wurden absichtlich in ihrer Authentizität belassen.

The Art of Boris Lurie steht zwar in Korrespondenz zur Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin 2016, ist aber stark geprägt von meinen eigenen Ansichten über Luries Werk – und von unseren Begegnungen. Die letzte, wenige Monate vor seinem Tod in New York.

Bearbeitete Schwarz-Weiß-Fotografie eines gefesselten Menschen auf rotem Grund

Auch Boris Luries »Love Series: Bound On Red Background« von 1962 spielt in Rudij Bergmanns Lurie-Film eine Rolle; Boris Lurie Art Foundation, New York, USA

Meine Gesprächspartner im Film sind Cilly Kugelmann, Programmdirektorin, sowie Helmuth F. Braun, Kurator der Lurie-Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin; Peter Weibel, Direktor des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, bekennender Boris-Lurie-Fan; der New Yorker Restaurator Ronald Morosan; der amerikanische Avantgarde-Filmer und Lurie-Freund Aldo Tambellini. Und natürlich Gertrude Stein und Boris Lurie.

Mein Film versteht sich als Dialog zwischen allen Beteiligten: den Lebenden wie den Toten. Und in diesem Prozess der Rede und Widersprüche wollte ich nicht der Versuchung widerstehen – der ich u. a. in meinem Film Der Leonardo-Code – Vom Leben und Wirken des geheimnisvollen Mannes aus Vinci schon so gerne erlegen war – mir Boris‘ Werk auch jenseits bevorzugter Interpretationen zu deuten. Bin ich doch der Überzeugung, dass nicht zuletzt riskante Ansichten – also im Gegensatz zu beliebigen Meinungen – den Diskurs über Kunst und Künstler vorantreiben.

Überdies: Filmisch und überhaupt stehen wir erst am Anfang der Ergründung der künstlerischen Tiefen und Vielschichtigkeiten des Werkes von Boris Lurie – ohne die wir das Leben des Künstlers nicht erfassen werden …

Rudij Bergmann wurde 1943 in Bad Godesberg geboren. Der Filmemacher, Autor und Kritiker lebt in Mannheim und ist Vizepräsident der Freien Akademie der Künste Rhein-Neckar sowie Mitglied des Internationalen Kunstkritikerverbandes AICA. Bekannt wurde er durch seine TV-Kunstsendung BERGMANNsART. Für den deutsch-französischen TV-Kanal ARTE realisierte er Serien wie Die großen Surrealisten und Nackt ist die Kunst sowie Einzel-Dokumentationen über Édouard Manet, Wolf Vostell, Neo Rauch und den Film Der Leonardo-Code.

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