Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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31. MAI 1933 >

Mittwoch,
31. Mai 1933

Protokoll der Vereinsversammlung des St. Pauli Turnvereins

Am 31. Mai 1933 trafen sich die Mitglieder des Hamburg-St. Pauli Turnvereins zu einer folgenreichen Sitzung: Ludwig Nathan (1856–1935), der erste Vorsitzende, musste zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Verein »ausscheiden«. Das Protokoll stellt den Verlauf der Sitzung genauestens dar.

Der Verein setzte damit, wie andere Sportvereine des Deutschen Reiches auch, die am 25. April vom Reichssportkommissar eingeführte »Richtlinie über den Ausschluss jüdischer Turner und Sportler« um, den sogenannten Arier-Paragraphen. Außerdem waren alle Vereine nach dem »Führerprinzip« zu organisieren. Der Vorsitzende hieß nun »Führer«, er durfte weitere Vorstandsmitglieder nur nach Begutachtung durch eine höhere Stelle ernennen und musste alle Vorhaben und Aktivitäten des Vereins melden. Damit waren demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt. Infolgedessen sahen sich auch die Mitglieder des Turnrats von St. Pauli gezwungen, ihre Ämter – zumindest formell – zur Verfügung zu stellen, da sie diese erst nach der Bestätigung durch die Deutsche Turnerschaft ausüben durften.

Bei der Sitzung wurde auch die »Osterbotschaft« von Edmund Neuendorff, dem Führer der Deutschen Turnerschaft, verlesen. Neuendorff ließ es sich nicht nehmen, die Sportler auf den neuen Zeitgeist einzustimmen: »Wir wollen neben die braune SA und die grauen Stahlhelmer die blauen Turner setzen und wir haben den Ehrgeiz, daß unsere blauen Scharen den deutschen Kameraden von der SA oder denen vom Stahlhelm weder an vaterländischer Zielklarheit noch an soldatischem Geiste noch an Wehrtüchtigkeit nachstehen.«

Dass nicht alle Teilnehmer der Sitzung mit der Politik des Vereins einverstanden waren, wird im Protokoll zumindest angedeutet. So bekannte sich ein Mitglied dazu, am verpflichtenden »Gut Heil«-Gruß der Sportler »Anstoß zu nehmen«. Er war jedoch, wie die Reaktion der anderen deutlich zeigt, in der Minderheit.

Noch in derselben Sitzung wählten die Anwesenden den Nichtjuden Curt Heinsen zum neuen Vorsitzenden. Ludwig Nathan wurde von seinen Vereinskameraden mit einem »einstimmigen Dank für die geleistete Arbeit« verabschiedet.

Michaela Roßberg

Kategorie(n): Hamburg | Sport | Vereine
Protokoll der Vereinsversammlung am 31. Mai 1933, Auszug aus dem Protokollbuch des Hamburg-St. Pauli Turnvereins, Hamburg, 1924–1939
Schenkung von Angela Roselius

März 1940

Ludwig Nathan starb 1935 in Hamburg. Im Archiv des Jüdischen Museums befindet sich noch ein weiteres Dokument des St. Pauli Turnvereins, in dem von ihm die Rede ist. Im März 1940 schildert der Vereinsführer des mittlerweile dem »National-Sozialistischen Reichsbund für Leibesübungen« angehörende Vereins in allen Einzelheiten das Wirken des ehemaligen Vorsitzenden. Dass dieser Jude war und aufgrund des »Arier-Paragraphen« sein Amt als Vorstand niederlegen musste, wird nicht erwähnt. Im Gegenteil: Im letzten Satz wird von einem freiwilligen Ausscheiden gesprochen.

Der Empfänger des Briefes, Hermann Pflieger-Haertel, war Nathans Schwiegersohn und Nichtjude. Mit diesem Schreiben versuchte er Schutz für seine jüdische Ehefrau zu erreichen. Im Nachlass der Familie Pflieger-Haertel finden sich noch weitere Abschriften des Dokuments.

Brief des Vereinsführers Dieckmann vom Hamburg-St. Pauli Turnverein an Hermann Pflieger-Haertel (Abschrift), Hamburg, 18. März 1940
Schenkung von Hermann Bredl 
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