Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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16. NOVEMBER 1933 >

Montag,
13. November 1933

Ausschluss von Martin Thurnauer aus der Sektion Noris des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins

Schon lange vor 1933 war der Antisemitismus in großen Teilen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuÖAV) fest verankert. Bereits 1899 führten einige Sektionen Arierparagraphen ein, in den darauffolgenden Jahren wurden in Österreich Juden aus den meisten Sektionen ausgeschlossen. Infolgedessen entstand 1921 die Sektion Donauland, deren Mitglieder mehrheitlich jüdisch waren. Ihre Aufnahme in den DuÖAV führte zu erbitterten Auseinandersetzungen, die 1924 im Ausschluss der Sektion gipfelten.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten strebten viele Angehörige des DuÖAV die Gleichschaltung des gesamten Alpenvereins an. Sie scheiterten jedoch bei der Sitzung des Hauptausschusses im Mai 1933, der »lediglich« empfahl, keine Nichtarier als Neumitglieder aufzunehmen. Trotzdem schlossen einige Sektionen unabhängig vom Gesamtverband ihre langjährigen jüdischen Mitglieder aus.

So auch die Sektion Noris in Nürnberg im November 1933. Dies geschah jedoch nicht aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses, sondern, wie Akten im Archiv des Deutschen Alpenvereins belegen, durch den Vorsitzenden der Sektion Konrad Brunner. Bei der Mitgliedersitzung am 8. November 1933 habe er, »einen günstigen Moment ausnützend, die noch vorhanden gewesenen Juden, 15 an der Zahl, ausgeschlossen«. Zuvor »sind 3 unabgemeldet ins Ausland, freiwillig haben sich weitere 3 abgemeldet und 5 haben sich wegen Nichtbezahlung ihrer Beiträge selbst ausgeschlossen«.

Fünf Monate zuvor hatte der Vereinsausschuss bei einer geheimen Abstimmung noch mit sieben gegen sechs Stimmen dagegen votiert, die jüdischen Mitglieder auszuschließen (sich aber zugleich auch dafür ausgesprochen, keine Nichtarier als neue Mitglieder zuzulassen). Nachdem das Führerprinzip Ende Juli in die Satzung der Sektion Noris aufgenommen wurde, witterte der Vorsitzende seine Chance und setzte den Ausschluss der jüdischen Vereinskameraden durch. Zu denjenigen, deren Name »in unserer Mitgliederliste ausgetragen« wurde, zählte Martin Thurnauer, der den vorliegenden Brief vom 13. November 1933 wohl wenige Tage später erhalten hat.

Interessanterweise hatte das Vorgehen des Vorsitzenden ein Nachspiel. Zwar blieben die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen, der Vorsitzende selbst sah sich aber »einer zunehmenden Abneigung« gegen seine Person ausgesetzt. Einige Verwaltungsmitglieder bezogen Stellung gegen die Einführung des Führerprinzips, finanzielle Engpässe der Sektion sowie Probleme mit dem Pächter der vereinseigenen Berghütte kamen hinzu. Ende November 1934 reichten 47 Mitglieder einen Antrag zur Wahl eines neuen Vorsitzenden ein. Konrad Brunner fand seine eigene Erklärung für die Vorgänge: »Der Marxismus hat hier gesiegt, der Jude grinst.«

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Gefangenschaft | Nürnberg | Sport | Unternehmer | Vereine
Ausschluss von Martin Thurnauer aus der Sektion Noris des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Nürnberg, 13. November 1933
Leo Baeck Institute, Martin Thurnauer Collection, AR 10901

Martin Thurnauer

Für Martin Thurnauer hatte der Ausschluss aus dem Alpenverein womöglich keine größere Bedeutung, angesichts der Verfolgungen, denen er im Verlauf des Jahres 1933 ausgesetzt war. Als Direktor der Steatit Magnesia AG mit Sitz in Lauf bei Nürnberg wurde er Opfer der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten. Die Firma besaß im Fichtelgebirge die größten Specksteinvorkommen Deutschlands und baute den Rohstoff vornehmlich zur Produktion von Isoliermassen für die elektrokeramische Industrie ab. Dem »Oberspecksteinjuden Thurnauer« und seinen jüdischen Geschäftspartnern warf man 1933 vor, zum Nachteil der deutschen Industrie fast ausschließlich französische und englische Firmen zu beliefern und die deutsche Specksteinindustrie nach Frankreich verlagern zu wollen.

Am 27. Juni wurde Martin Thurnauer in »Schutzhaft« genommen, um ihn, wie es hieß, vor der aufgebrachten Bevölkerung in Lauf und den eigenen Fabrikarbeitern zu bewahren. Eine Woche später kam er frei, nachdem er sich dazu verpflichten musste, seine Fabrik nie wieder zu betreten. Im September setzte man ihn kurzfristig unter Hausarrest. Ein Monat später waren er und die anderen jüdischen Führungskräfte der Firma endgültig abgesetzt.

Martin Thurnauer erkannte die Aussichtslosigkeit seiner Lage und besorgte ein Visum für die USA. Zusammen mit seiner Tochter Liselotte fuhr er Anfang Februar 1934 nach New York. Anderthalb Monate später konnten seine Frau und die zweite Tochter folgen.

Vielleicht war es für Martin Thurnauer ein kleiner Trost, als ihn an seinem neuen Wohnort in New Jersey im März 1935 die hier gezeigte Karte von der Deutschen Keramischen Gesellschaft erreichte. Ihm wurde mitgeteilt, dass »unsere nichtarischen Mitglieder, nach wie vor, unserer Gesellschaft angehören«, und man auch keine Veranlassung habe, »Nichtariern die Mitgliedschaft zu verwehren«. Nach den handschriftlichen Notizen am Rand des Schreibens zu urteilen, hat Thurnauer offenbar seine Mitgliedschaft aufrechterhalten.

Brief der Deutschen Keramischen Gesellschaft an Martin Thurngauer in West-Englewood (New Jersey), Berlin, 27. Februar 1935
Leo Baeck Institute, Martin Thurnauer Collection, AR 10901 
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