Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 16. NOVEMBER 1933
23. NOVEMBER 1933 >

Montag,
20. November 1933

Brief von Rechtsanwalt Fritz Müllerheim an den Landrat in Rummelsburg in der Sache Schankerlaubnis Marie Sabatzki

Marie Sabatzki (1865–1940) führte mit ihrem Mann seit 1886 in der pommerschen Kleinstadt Rummelsburg, dem heutigen polnischen Miastko, ein Schankgewerbe und einen Handel mit Spirituosen. Als Eduard Sabatzki 1921 starb, betrieb seine Witwe die Gastwirtschaft in der Marktstraße 22 allein weiter. Nachdem sie 1924 infolge der Inflation fast ihr gesamtes Vermögen verloren hatte, war sie auf diese Einkünfte angewiesen.

Zu dieser Zeit begann der erste Rechtsstreit mit der Polizeiverwaltung Rummelsburg um ihre Konzession. Er endete 1925 mit einem Vergleich, der ihr erlaubte, das Gewerbe zunächst weiterzuführen. Im Oktober 1933 erhielt sie dann plötzlich ein »Polizeiliches Verbot unter Androhung von Zwangsgeld«, das sie dazu zwingen sollte, ihre Wirtschaft wegen fehlender gültiger Konzession unverzüglich zu schließen. Ursache dafür war der Gastwirtverein Rummelsburg, der im Juli bei der Polizeiverwaltung beantragt hatte, den Fall erneut zu prüfen. Inwiefern hierbei antisemitische Hintergründe eine Rolle spielten, lässt sich nur vermuten.

Marie Sabatzki suchte Hilfe bei dem Anwalt Dr. Fritz Müllerheim aus Stolp. Nachdem dieser am 16. Oktober Einspruch in ihrer Sache erhoben hatte, schrieb er am 20. November 1933 erneut an den Landrat des Kreises Rummelsburg und wies auf den großen Schaden hin, der seiner Mandantin durch den Verlust ihres Gewerbes entstünde. Vor allem betonte er, dass sie in diesem Fall nicht mehr in der Lage sei, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dazu zählte natürlich auch die Steuerzahlung. Dr. Müllerheim bat also, ihr weiter den Ausschank zu erlauben oder ihr wenigstens noch einen Kleinhandel zu gestatten, so dass sie ihre Vorräte veräußern könne.

Marie Sabatzki war zu dieser Zeit bereits eine alte Frau. Die Unterstützung ihres Schwiegersohns Rudolf Gumpert wird sie sicher dankbar angenommen haben. Der Mann ihres einzigen Kindes Margaretha korrespondierte von dem 500 Kilometer entfernten Parchim aus mit ihrem Anwalt. In einem Brief drückte er seine Sorge um die Schwiegermutter aus: »Frau Sabatzki steht im 69ten Lebensjahr und ist den Aufregungen des Prozesses nicht mehr gewachsen. Die Ereignisse der letzten Zeit sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen.«

Der Anwalt hatte schließlich Erfolg. Im April 1934 entschied das Bezirksverwaltungsgericht Köslin, dass Marie Sabatzki ihre Konzession behalten und den Schankbetrieb weiterführen könne. Sechs Jahre lebte sie noch in ihrem Heimatort Rummelsburg, bis sie am 12. Februar 1940 von Stettin aus ins Ghetto Belzyce bei Lublin deportiert wurde, wo sie drei Wochen später umkam.

Franziska Bogdanov

Kategorie(n): Berufsverbot | Juristen | Unternehmer
Brief von Rechtsanwalt Dr. Fritz Müllerheim an den Landrat in Rummelsburg in der Schankerlaubnissache Marie Sabatzki (Kopie auf Durchschlagpapier), vermutlich Stolp, 20. November 1933
Schenkung von Hans Rudolf Benjamin
IMPRESSUM