Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Dienstag,
28. Februar 1933

Tagebucheintrag von Erich Seligmann

»Blutendes, brennendes Deutschland!«, schrieb der renommierte Berliner Arzt und Bakteriologe Erich Seligmann (1880–1954) am Tag nach dem Reichstagsbrand in sein Tagebuch. Er ist entsetzt über die sich anbahnende Hetzjagd und Verhaftungswelle der Nationalsozialisten gegenüber ihren politischen Gegnern, darunter zahlreiche deutsche Juden. Seligmann hat die Zeichen an der Wand deutlich gelesen und deutet hier an, was viele glauben: dass der Reichstagsbrand womöglich von den Nationalsozialisten selbst gelegt wurde, um der Demokratie den Todesstoß zu versetzen.

Erich Seligmann führt sein 1908 begonnenes Tagebuch im Jahr 1933 nur an 22 Tagen. In zum Teil langen Einträgen nimmt er zwar Bezug auf die politischen Ereignisse, in erster Linie jedoch reflektiert er seine eigene Situation: Ende März wird er von seinem Amt als Direktor des Wissenschaftlichen Instituts des Hauptgesundheitsamtes beurlaubt. Im August werden ihm »unpatriotische Gesinnung« und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Seine Beschwerden und Gegenbeweise sind vergeblich. Ende des Jahres bezeichnet der Kommissarische Oberbürgermeister in einem Brief Seligmann als »Exponent der jüdisch-demokratisch-sozialdemokratischen Mitglieder des Hauptgesundheitsamtes«, »für den in der nationalsozialistischen Stadtgemeinde kein Raum mehr ist«.

Kurz nach seiner Beurlaubung wird Erich Seligmann zum Direktor des neu geschaffenen Gesundheitsamtes der Berliner Jüdischen Gemeinde ernannt und fungiert zudem als Präsident des Jüdischen Krankenhauses. Erst 1939 entschließt er sich, Deutschland zu verlassen, und kann über England in die USA ausreisen, wo er seine glänzende Karriere fortsetzt.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Ärzte | Berlin | Berufsverbot | Politiker
Tagebuch von Erich Seligmann, Doppelseite mit Eintrag vom 28. Februar 1933
Leo Baeck Institute, Erich Seligmann Collection, NY AR 4014

 
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