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Recycling im 18. Jahrhundert: vom Brautkleid zum Tora-Vorhang

Blick ins Depot

Moses Mendelssohn (1729–1786), der große Philosoph der Aufklärung, und seine Frau Fromet (1737–1812) stifteten diesen Tora-Vorhang 1774/75 einer Berliner Synagoge. Wahrscheinlich ließen sie ihn aus Fromets seidenem Brautkleid anfertigen.

Bestickter weißer Tora-Vorhang mit zahlreichen Verzierungen und zwei Löwen und einer Krone über der hebräischen Widmungsinschrift.

Tora-Vorhang; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. KGT 97/1/0, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, Foto: Roman März

Wer ist Fromet Gugen­heim/​Mendels­sohn?

Fromet Mendelssohn, geb. Gugenheim (1737–1812), Kaufmannstochter, Haus- und Geschäftsfrau aus Altona, 1762 Liebesehe mit Moses Mendelssohn, ihre Briefe belegen die intellektuell gleichberechtigte Beziehung

Wer ist Moses Mendelssohn?

Moses Mendelssohn (1729–1786), bedeutender Philosoph der Aufklärung, Wegbereiter der Gleichberechtigung der Jüdinnen*Juden in Deutschland

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Tora-Vorhang für die höchsten Feiertage

Ein weißer Vorhang hängt traditionell an Rosch ha-Schana und Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertagen, vor dem Tora-Schrein. Darin werden die Tora-Rollen mit dem Text der fünf Bücher Mose aufbewahrt.

Auf unserem Tora-Vorhang sind über der hebräischen Widmungsinschrift zwei Löwen zu sehen. Sie symbolisieren Juda, einen der zwölf Stämme Israels. Unter der Krone stehen die Worte „Keter Tora“ (Krone der Tora). Die mit Blumenranken geschmückten Säulen weisen, wie auch die kleinen Motive auf dem oberen Querbehang, auf den Tempel in Jerusalem hin.

Was ist Rosch ha-Schana?

Rosch ha-Schana (hebr. für Kopf des Jahres), Neujahrsfest, hoher Feiertag zum Beginn des jüdischen Jahres im Herbst

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Was ist Jom Kippur?

Jom Kippur (hebr. Tag der Sühne, Versöhnungstag), höchster jüdischer Feiertag, der im Herbst mit Fasten und Gebeten in der Synagoge begangen wird

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Migrationsgeschichte eines Tora-Vorhangs

Einige Jahre nach Moses Mendelssohns Tod 1786 kehrte Fromet in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. Den Tora-Vorhang nahm sie mit. Er schmückte nun den Tora-Schrein einer Synagoge in Altona. Mehrere Generationen später, nach dem Novemberpogrom 1938, gelangte der Vorhang mit Geflüchteten nach Antwerpen in Belgien. Dort kam er in dem provisorischen Betsaal einer kleinen Geflüchtetengemeinde zu Ehren. Fanden keine Gottesdienste statt, verwahrte der Gemeindevorsteher Leo Rothschild die Ritualgegenstände in seiner Wohnung. Nach der deutschen Besetzung Belgiens im Mai 1940 übergab dessen Frau Betty den Vorhang – in einem Wäschekorb unter Haushaltswäsche verborgen – einem Geschäftsfreund ihres Mannes zur Aufbewahrung. Betty Rothschild und zwei ihrer Söhne wurden in Auschwitz ermordet. Leo Rothschild und der Sohn Josef überlebten. Der Tora-Vorhang überstand die Kriegsjahre unversehrt.

Novemberprogrome

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten die Nationalsozialist*innen in einer geplanten Aktion im ganzen deutschen Reich jüdische Geschäfte, Kultureinrichtungen und Synagogen. Während der Übergriffe wurden über 1.300 Menschen ermordet. Darüber hinaus wurden mehr als 30.000 jüdische Männer in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager verschleppt.
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Was ist die Tora?

Tora (hebr. für Lehre), erster Teil der aus drei Teilen bestehenden Tanachs (hebräische Bibel), die fünf Bücher Mose, im weiteren Sinne das gesamte Religionsgesetz

Titel Tora-Vorhang, gestiftet von Moses Mendelssohn und seiner Frau Fromet Gugenheim
Sammlungsgebiet Zeremonialobjekte
Ort und Datierung Berlin 1774/75
Material Seide, Leinen, bestickt
Maße 210 x 145 cm
Erwerb Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin

Warum wir den Tora-Vorhang aus Fromet Mendelssohns Brautkleid nicht dauerhaft in unserer Ausstellung zeigen können, erklärt unsere Gemälderestauratorin Barbara Decker in einem Video aus der Reihe „Was wir nicht zeigen“.

Ausgewählte Objekte: Judaica-Sammlung (9)

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