Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Donnerstag,
11. Mai 1933

Bescheinigung für Sigmar Karplus über seine Tätigkeit während des Ersten Weltkriegs

Am 22. April erließ das Reichsarbeitsministerium eine Verordnung, welche »nichtarischen« Ärzten die Kassenzulassung entzog. Der Erlass hatte, wie die »CV-Zeitung« am 27. April unterstrich, weitreichende Folgen: »Die Verordnung bringt, wie die gleichartigen Gesetzesregelungen der Anwälte und Beamten, für die Betroffenen schwerste materielle Not. Darüber hinaus ist es aber gerade für den Arzt, den sein Beruf zum unpolitischen, jedem leidenden Menschen gewidmeten Dienst erzogen hat, eine besonders große seelische Belastungsprobe.«

Von dieser Regelung ausgenommen waren Mediziner, die vor Beginn des Ersten Weltkriegs ihre Arbeit aufgenommen hatten, sowie Ärzte, die entweder selbst oder deren Väter bzw. Söhne im Krieg Frontkämpfer gewesen waren. Ausnahmen galten auch für Sanitäter, die ihren Dienst an der Front versehen hatten.

Der Facharzt für Radiologie Sigmar Karplus (1878–1962) erfüllte zwei dieser Bedingungen. Approbiert wurde er im Jahre 1902 und war, wie hier vom Zentralnachweiseamt für Kriegerverluste und Kriegergräber bescheinigt, acht Monate als leitender Arzt in einem Lazarett in Thorn tätig. Die Beglaubigung musste Sigmar Karplus offenbar bei den Behörden vorlegen. Infolgedessen konnte er weiterhin Kassenpatienten in seiner Praxis am Kaiserdamm in Berlin behandeln, durfte aber keine Radiologen mehr ausbilden.

Ende September 1938 wurde allen jüdischen Ärzten in Deutschland die Approbation entzogen. Hiernach erhielt nur noch eine kleine Zahl ausgewählter Mediziner die Erlaubnis, weiter tätig zu sein. Sie mussten sich »Krankenbehandler« nennen und konnten ausschließlich jüdische Patienten betreuen. Zu ihnen zählte Sigmar Karplus, dessen Praxis somit offen blieb. Den Verhaftungen während der Novemberpogrome entging er dank dem Hinweis eines früheren nichtjüdischen Patienten.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Ärzte | Berlin | Berufsverbot | Frontsoldaten
Bescheinigung für Sigmar Karplus über seinen während des Ersten Weltkriegs geleisteten Dienst, Berlin, 11. Mai 1933
Schenkung von Elsa Shamash, geb. Karplus

Flucht nach England

Der Familie Karplus gelang es, 1939 nach England zu entkommen. Zuerst reisten Anfang März die beiden Kinder mit einem Kindertransport aus, wenige Wochen später folgten Sigmar Karplus und seine Frau Rosa. 1941 als Assistenzarzt für Radiologie im weltberühmten Addenbrooke’s Hospital in Cambridge eingestellt, eröffnete er 1947 eine eigene Praxis als Allgemeinarzt in London.

Rosa und Sigmar Karplus, um 1940.
Schenkung von Elsa Shamash, geb. Karplus 
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