Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Samstag,
7. Oktober 1933

Polizeiliches Führungszeugnis für Robert Goldschmidt

Zu den unerlässlichen Dokumenten, die jeder Auswanderer in der NS-Zeit für die Emigration benötigte, zählte neben einem Reisepass, einer Abmeldebescheinigung vom bisherigen Wohnort und einer »Unbedenklichkeitsbescheinigung« des Finanzamtes, welche unter anderem die Zahlung der »Reichsfluchtsteuer« und die Begleichung aller Steuerschulden bestätigte, ein polizeiliches Führungszeugnis. Dieses allein bescheinigte dem Inhaber, nicht vorbestraft zu sein, was eine wesentliche Voraussetzung dafür war, um in einem anderen Land Aufnahme zu finden.

Das hier gezeigte Führungszeugnis wurde am 7. Oktober 1933 von der Abteilung Melde- und Passpolizei der Polizeibehörde Hamburg für Robert Goldschmidt (1904–1980) ausgestellt. Ob er es für Auswanderungszwecke beantragt hatte, scheint unwahrscheinlich, denn er hat im Jahr 1933 Deutschland nicht verlassen. Womöglich benötigte er das Zeugnis aus beruflichen Gründen: 1933 erteilte ihm sein Arbeitgeber, das Hamburger Handelshaus Eichholz & Loeser, für das er seit 1921 tätig war, Einzelprokura.

Vielleicht hat er aber doch mit dem Gedanken gespielt auszuwandern. Denn eineinhalb Jahre später traf er eben diese Entscheidung und emigrierte am 13. März 1935 nach Schanghai. Dort fand er eine Anstellung bei der britischen Getreidefirma Bunge & Co. Limited. Hierfür kann ihm das vorliegende Führungszeugnis nicht mehr nützlich gewesen sein, denn in der Regel verloren diese nach wenigen Monaten ihre Gültigkeit.

Anna Mirtschin

Kategorie(n): Angestellte | Auswanderung | Hamburg
Polizeiliches Führungszeugnis für Robert Goldschmidt, Hamburg, 7. Oktober 1933
Schenkung von Liliane Ransom

Der Adoptivvater

1939 heiratete Robert Goldschmidt die aus dem Elsass stammende Melanie Haenel (1909–1991), die er in Schanghai kennengelernt hatte. Die Hochzeit fand in Saigon statt, welches unter französischer Kolonialherrschaft stand, um die französische Staatsangehörigkeit von Melanie nicht zu gefährden. Robert Goldschmidt hingegen verlor seine deutsche Staatsangehörigkeit zu Beginn des Krieges. Um nicht staatenlos zu sein und chinesische Papiere zu bekommen, ließ er sich am 20. Mai 1940 von dem Chinesen Ho Hsien-Li adoptieren. Fortan trug er den Namen Ho Robert Goldschmidt und war seit dem 15. Januar 1941 auch offiziell chinesischer Staatsbürger.

Für die Adoption wurde Ho Hsien-Li bezahlt, mögliche finanzielle Forderungen beiderseits waren jedoch vertraglich ausgeschlossen. Mit seinem Adoptivvater hat Robert Goldschmidt auch nie zusammengewohnt. Dennoch fanden sich beide für eine Fotografie zusammen, welche die Adoption dokumentiert. Ho Hsien-Li war Witwer und hatte seinen leiblichen Sohn bereits verloren, als einziger Verwandter war ihm ein minderjähriger Enkel geblieben. Mit großer Wahrscheinlichkeit war er auf den finanziellen Ertrag aus der Adoption angewiesen.

Wie fast alle deutsche Juden, die in Schanghai Zuflucht gefunden hatten, verließen auch Robert und Melanie Goldschmidt nach Kriegsende die Stadt. 1949 gingen sie in die USA und erhielten 1954 die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Robert Goldschmidt (rechts) und sein chinesischer Adoptivvater Ho Hsien-Li, vermutlich Schanghai, um 1940
Schenkung von Liliane Ransom 
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