Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Freitag,
3. November 1933

Bericht über ein Siedlungsvorhaben des Vereins »Le Renouveau«

Im Verlauf des Jahres 1933 verließen infolge der antijüdischen Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung ca. 37.000 Juden Deutschland. Mehr als ein Viertel von ihnen ging in das benachbarte Frankreich und bekam meist befristete Aufenthaltsgenehmigungen. Die finanzielle Lage der Emigranten war aufgrund der Wirtschaftskrise im Land häufig prekär, zumal unter ihnen viele Intellektuelle waren, Arbeit aber fast nur in der Landwirtschaft oder in handwerklichen Berufen zu finden war.

Die mittellosen Flüchtlinge waren auf Unterstützung angewiesen. Neben dem American Jewish Joint Distribution Committee, das 1933 die Berliner Zweigstelle geschlossen und seinen Sitz nach Paris verlegt hatte, entstanden zahlreiche private Hilfskomitees. Eines davon war der Verein »Le Renouveau«, der im September 1933 in Paris von Dmitri Marianoff, dem Schwiegersohn von Albert Einstein, gegründet wurde. Die Idee der Organisation ging auf den damaligen französischen Innenminister Camille Chautemps zurück: Man wollte in Frankreich Siedlungen für jüdische Emigranten schaffen, in denen sie eine landwirtschaftliche Ausbildung bekommen sollten, um sich anschließend selbst finanzieren zu können.

Die jüdischen Organisationen in Deutschland schauten mit Sorge nach Frankreich, und der »Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau« schickte Mitarbeiter nach Paris, um sich das Vorhaben näher anzuschauen. Aus ihrem Bericht über »Le Renouveau« vom November 1933 ist zu erfahren, dass sich dem Verein mit Genehmigung des Landwirtschaftsministeriums nun die Möglichkeit bot, eine Siedlung auf 900 Hektar in der Normandie zu errichten, fruchtbarem Land, auf dem Ackerbau und Viehzucht betrieben werden konnte. Man hatte vor, dort 30 Familien anzusiedeln, die sich jedoch einkaufen mussten.

»Le Renouveau« sah seine Aufgabe in der Prüfung des Siedlungsobjektes und der Beratung der interessierten Familien. Ansonsten beabsichtigte der Verein bei der Finanzierung lediglich als Treuhänder tätig zu sein. Die Siedlungsgemeinschaften sollten später weiteres Land im Südwesten Frankreichs erwerben. Der Vertreter aus Deutschland blieb nach dem Besuch skeptisch. Sein Bericht schließt mit der Einschätzung: »Diese Gesellschaft scheint mir (...) trotz allen äusseren Anscheines mehr eine kaufmännische Angelegenheit zu sein«.

Das hier erwähnte Siedlungsprojekt wurde offenbar nicht realisiert. »Le Renouveau« nahm seine eigentliche Arbeit 1934 auf und wurde im September 1935, als Marianoff in die USA emigrierte, von der religiös-zionistischen Organisation Misrachi übernommen. In größerem Ausmaß scheinen Ansiedlungen nicht erfolgt zu sein und bis 1936 verschwanden auch die meisten der Flüchtlingskomitees, die 1933 entstanden waren. Viele der Emigranten verließen Frankreich wieder und wanderten weiter nach Übersee oder Palästina.

Franziska Bogdanov

Kategorie(n): Auswanderung | Vereine
Bericht über ein Siedlungsvorhaben des Vereins »Le Renouveau« in Frankreich, verfasst von einem Mitarbeiter des »Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau« (Abschrift), Paris, 3. November 1933
Leo Baeck Institute, Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau Collection, AR 3563
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