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Kennen Sie Eva Samuel?

Aufruf zur Anerkennung vergessener Künstlerinnen

Die Ausstellung Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne basiert auf jahrzehntelanger Recherche von Michal Friedlander, Kuratorin am Jüdischen Museum Berlin (JMB). In ihrem Text aus dem Jahr 2014 schildert Friedlander, wie sie vergessenen jüdischen Kunsthandwerkerinnen auf die Spur kam: durch Zufallsbegegnungen auf dem Trödelmarkt, Entdeckungen im Depot des JMB und akribische Suche in Archiven und Familiensammlungen weltweit.  

„Wir haben mit Steinen nach ihr geworfen; wir dachten, sie sei eine Hexe.“ So erinnert sich eine ehe­malige Bewohnerin von Rischon LeZion heute schuld­bewusst an ihre Begeg­nungen mit der Bild­hauerin und Puppen­herstellerin Edith Samuel. Edith, die ihre langen, dunklen, in Europa üblichen Röcke auch unter der sengenden Sonne des Nahen Ostens trug, litt an einer Fehl­bildung. Die Tochter eines liberalen, deutschen Rabbiners und ihre Schwester Eva Samuel, die ebenfalls Künstlerin war, verließen in den 1930er-Jahren ihre Geburts­stadt Essen und wanderten nach Palästina aus.

Dort gelang es den Schwe­stern trotz harter Arbeit kaum, ihren Lebens­unterhalt zu verdienen, und gebührende Aner­kennung blieb ihnen ein Leben lang versagt. Vergessenen Künstler­innen wie ihnen verhilft das Jüdische Museum Berlin nun zu einem Platz im Licht der Öffentlich­keit. Die Ausstellung Ton in Ton zeigt Keramiken von Eva Samuel und anderen Künstler­innen, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten.

Meine Beschäfti­gung mit vertriebenen deutsch-jüdischen Frauen in der Ange­wandten Kunst begann viele Jahre vor meiner Begegnung mit den Samuel-Schwestern. Emmy Roth war die Erste, deren Geschichte mein Interesse weckte. Sie wurde 1885 geboren, arbeitete in Berlin und war als außer­gewöhnlich talentierte Silberschmiedin auch international erfolgreich. Doch nachdem sie nach Palästina immigriert war, geriet sie in Vergessen­heit und nahm sich schließlich 1942 das Leben. Dagegen wurden ihre männlichen Kollegen, wie etwa Ludwig Wolpert oder David Gumbel, die ebenfalls nach Palästina flohen, in den späten 1930er-Jahren an der wieder­eröffneten New Bezalel School of Arts and Crafts in Jerusalem angestellt, um dort Metall­arbeit zu unterrichten. Sie sind heute in Israel gefeierte Künstler, während Roth dort nach wie vor vollkommen unbekannt ist.

Töpferscheibe auf braunem Tisch vor einem Spiegel.

Die Töpfer­scheibe von Paula Aronsohn, der Geschäfts­partnerin von Eva Samuel, befindet sich in Privat­besitz und ist seit ihrem Tod 1998 nicht mehr in Betrieb; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal S. Friedlander

Doch wie an Infor­mationen über Roth und andere, womöglich bereits verstorbene Frauen in Palästina und anderswo herankommen? Wohin gingen sie, nachdem sie Deutsch­land verlassen hatten? Hatten sie andere Namen angenommen? Als ich mit der Recherche begann, fand ich im Internet kaum eine Spur. Ich durchforstete historische jüdische Veröffent­lichungen aus Groß­britannien, den USA und Palästina vor der Staats­gründung. Ich durchkämmte akademische Abhandlungen, Kunst­kataloge und Archive auf der Suche nach Spuren dieser Frauen. Ich befragte Kolleg*innen, Bibliothekar*innen, Archivar*innen, Gallerie­besitzer*innen, Kunst­händler*innen, Desig­nexperten*innen und erzählte praktisch jedem, den ich traf und der davon hören wollte (und sicher auch einigen, die nicht davon hören wollten) von meinem Projekt.

Allmählich be­gannen Namen und Objekte aus der Ver­senkung aufzutauchen. Eines lauen Sommer­abends in Berlin saß ich während einer Ausstellungs­eröffnung neben einem älteren Herrn. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte mir von seiner jüdischen Mutter, die als Glas­designerin gearbeitet hatte. Ob ich Interesse hätte, mir ihre Arbeiten einmal anzusehen? Natürlich hatte ich das. In Jaffa begegnete ich einem leicht angestaubten Trödel­händler, der große Mengen Keramik­arbeiten aus der Zeit vor der Staats­gründung besaß, die Künstler*innen­signaturen jedoch nicht zu dechiffrieren wusste. Ob ich Lust hätte, ihn auf seinem Moped zu seinem Waren­lager zu begleiten? Ein wenig unsicher war ich mir schon. Nichts­destotrotz beschloss ich, meine Suche auf Keramik­künstlerinnen zu beschränken, und stieß auch prompt auf die Arbeiten dreier deutscher Emigrant­innen im Depot eines israelischen Museums. Die Stücke waren hervor­ragend erhalten, wenn auch staubbedeckt, nachdem sie in den vierzig Jahren, die sie sich im Besitz des Museums befanden, nicht ein einziges Mal aus­gestellt worden waren.

Briefumschlag adressiert an an die Kad-Ve-Sefel-Toepferei im Mandatsgebiet Palästina.

Briefumschlag, der an Eva Samuel und Paula Ahronson im „Kad va-Sefel“-Studio geschickt wurde, adressiert an das Krumholz Haus; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal S. Friedlander

Ich machte eine Pilger­fahrt nach Rischon LeZion, südlich von Tel Aviv, wo sich die Samuel-Schwestern niedergelassen hatten. Hier fand ich die herunter­gekommene und verlassene Hütte, in der sich Eva Samuels Keramik­studio befunden hatte. Die Außen­wände waren mit Graffiti übersät, und das zugemüllte, verlassene Grundstück wurde als Park­platz genutzt. Ich bin sicher, dass sich innen nicht viel verändert hat, seit Eva Samuel ihr Geschäft,„Kad wa-Sefel“, („Krug und Tasse“) 1979 nach 45 Jahren auf­gegeben hat. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass es derzeit keine Pläne gäbe, ihr Studio wieder auf­zubauen. Diese Tatsache war Ansporn für mich, weiterhin nach Spuren deutsch-jüdischer Frauen, die im Bereich der Angewandten Kunst arbeiteten, zu suchen und sie zusammen­zutragen, ehe sie für immer verloren gehen.

Michal S. Friedlander, Kuratorin für Judaica und Angewandte Kunst

Baufälliges Haus mit zwei Autos im Vordergrund.

Ehemaliges Keramikstudio von Eva Samuel in Rischon LeZion, Israel; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal S. Friedlander

Zitierempfehlung:

Michal S. Friedlander (2014), Kennen Sie Eva Samuel?. Aufruf zur Anerkennung vergessener Künstlerinnen.
URL: www.jmberlin.de/node/10618

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