Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Mittwoch,
13. September 1933

Bericht von Henry Rothschild über die notwendige Auswanderung deutscher Juden

»Die Erfahrungen, die ich in Amerika machte in Bezug auf die Hilfsbereitschaft für die deutschen Juden, sind äusserst traurig.« Mit dieser Feststellung beginnt Henry Rothschild (1870–1936) seinen weitsichtigen Bericht über die Möglichkeiten deutscher Juden auszuwandern, verfasst nach einem dreimonatigen Aufenthalt in den USA.

Der Philanthrop – ehemaliger Inhaber der Schrott- und Metallfirma J. Adler jun. und eines der führenden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main – hält die bisherigen Hilfsleistungen der amerikanischen Juden für völlig unzureichend. Es werde viel geredet, aber wenig getan. Aus seiner Sicht müssten viel mehr deutschstämmige Juden in den USA ihren bedürftigen Verwandten, Freunden oder Bekannten Bürgschaften (Affidavits) ausstellen, um ihnen die Einwanderung zu ermöglichen. Noch aussichtsreicher scheint Rothschild die Bereitstellung unbesiedelter Gebiete in den USA und gegebenenfalls auch in Kanada zu sein. Voraussetzung hierfür seien allerdings umfassende Umschulungen in Deutschland, damit die Einwanderer als Landwirte oder Handwerker arbeiten könnten, und deren Verpflichtung, langfristig in dem zu besiedelnden Territorium zu wohnen.

Obwohl selbst kein Zionist, bewundert Henry Rothschild die in Palästina vollbrachten Leistungen. Er stellt jedoch klar, dass man dort nur eine begrenzte Anzahl Emigranten aus Deutschland aufnehmen kann. In den USA und vielleicht auch in den britischen Kolonien sieht er die besten Möglichkeiten, den »zur Auswanderung bereiten und geeigneten deutschen Juden« eine neue Existenz zu verschaffen. Die dringendste Aufgabe sei es jedoch, dass die ausländischen Juden »in ihren Organisationen für solche Gedankengänge reif werden«.

Es bleibt unklar, an wen Henry Rothschild seinen Bericht adressiert hat. Er selbst hat nicht mehr erlebt, wie wenig das Ausland bereit war, »die Massen aufzunehmen«, denn er starb im Juli 1936, tief betrauert von der Frankfurter Gemeinde.

Für seine Familie indes, seine Frau und die vier Töchter, wurden die USA kein Rettungsanker. Bertha Rothschild und ihre jüngsten Töchter Hilde und Friedel konnten auf Umwegen nach England entkommen. Louise, die älteste, wurde von den Niederlanden nach Bergen-Belsen deportiert, überlebte aber ihre 18-monatige Internierung. Lotte dagegen fiel den Deutschen 1944 in Frankreich in die Hände und wurde zusammen mit ihrer 12-jährigen Tochter in Auschwitz ermordet.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Auswanderung | Frankfurt am Main | Zionismus
Bericht von Henry Rothschild über die notwendige Auswanderung deutscher Juden, Frankfurt am Main, 13. September 1933
Leo Baeck Institute, Henry Rothschild Collection, AR 6512
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