»Generation ›koscher light‹« – Über den Lebensstil junger russischsprachiger Juden in Berlin

Portraitaufnahme einer Frau mit schwarzer Brille, schwarzer Kleidung und langen braunen Haaren vor einer weißen Wand

Alina Gromova © Judith Metze

Morgen Abend, am 9. September 2014, stellt die Ethnologin Alina Gromova ihr 2013 erschienenes Buch  »Generation ›koscher light‹« in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin vor. Wie vielen der Autorinnen und Autoren, deren  »Neue deutsche Geschichten« bislang zur Sprache kamen, haben wir auch ihr vorab drei Fragen gestellt:

Alina, Du hast die Stadt als Ausgangspunkt Deiner Untersuchung von russischsprachigen Juden in Berlin gewählt – aus den Orten, an denen sie wohnen, sich aufhalten, treffen und feiern, arbeitest Du die unterschiedlichen Auffassungen von Identität, Tradition und Religion heraus, die in dieser Gruppe existieren. Wieso hast Du Dich gerade für diese Raum-Perspektive entschieden?

Identität und Tradition sind Begriffe, die oft schwer zu greifen sind, weil sie aus Symbolen, Werten, Wunschprojektionen oder Erinnerungen bestehen. Ein Raum hat dagegen nicht nur eine symbolische, sondern auch eine materielle Seite und ist deshalb viel greifbarer. Für mich sind Räume keine dreidimensionalen Container, die mit Menschen oder Dingen gefüllt werden müssen; vielmehr werden sie durch diese überhaupt erst geschaffen. Die Stadträume sind für mich besonders spannend, weil hier eine große kulturelle und religiöse Vielfalt an einem engen Fleck möglich ist und deshalb an ein und demselben Ort mehrere Räume gleichzeitig entstehen, die von verschiedenen Gruppen konstruiert werden, die sich gegenseitig überlagern und miteinander in Berührung kommen.

Dein Buch beruht auf der ethnologischen Feldforschung, die Du im Rahmen Deiner Dissertation durchgeführt hast: Du hast 15 russischsprachige Jüdinnen und Juden ein Jahr lang durch Ihren Alltag begleitet und Dir ihre bevorzugten Cafés, Treffpunkte, Synagogen und Restaurants zeigen lassen. Auch in den privaten Raum, die Wohnung, haben sie Dir Zutritt gewährt. Inwiefern hat Dir Dein eigener biographischer Hintergrund beim Zugang zum Feld geholfen? Wie hast Du Deine Protagonisten gefunden und ihr Vertrauen gewonnen?

Buchcover mit Händen die mit jüdischen Gebetsriemen umwickelt sind.

Buchcover: Generation »koscher light«. Urbane Räume und Praxen junger russischsprachiger Juden in Berlin © transcript Verlag

Bevor ich die Feldforschung angefangen habe, hatte ich außer zu meiner eigenen Familie kaum Kontakte zu anderen russischsprachigen Juden. Ich musste mir das  »Feld« also als eine  »distanzierte Insiderin« komplett neu erarbeiten. Ich habe jüdische Gottesdienste, kulturelle Veranstaltungen und Partys besucht und mich dort Gruppen von Menschen angeschlossen, die sich auf Russisch unterhielten. Da ich den kulturellen Hintergrund und die Sprache meiner Protagonisten teile, konnte ich mich leicht an ihren Gesprächen beteiligen; wir kennen dieselben Witze, mögen dieselben osteuropäischen Gerichte und haben als Kinder dieselben Filme gesehen. Ich wurde deshalb schnell in die Gruppen aufgenommen und konnte später Menschen leichter für die Teilnahme an meiner Forschung gewinnen.

Dein Buch trägt den Titel  »Generation ›koscher light‹«. Kannst Du in ein paar Sätzen erläutern, was diese Generation kennzeichnet?

Der Begriff  »koscher light« beschreibt umgangssprachlich einen liberalen Umgang mit den traditionellen jüdischen Speisevorschriften, der Kaschrut. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand zwar Milch und Fleisch nicht zusammen in einem Gericht verwendet, aber beides, Milchiges und Fleischiges, in derselben Pfanne zubereitet und nicht zwei verschiedene Pfannen hat, wie es die jüdische Tradition vorschreibt. Ich habe den Begriff »koscher light« auf die junge Generation der russischsprachigen Juden übertragen, weil diese Frauen und Männer selbstbewusst und kreativ mit der Tradition und Religion umgehen und diese an ihren urbanen und berlinspezifischen Lebensstil anpassen. Dabei geht es nicht nur um Essen, sondern auch um Kleidung, jüdische Lerntradition oder Partnerwahl.

Wer weitere Fragen stellen und mehr zur  »Generation ›koscher light‹« erfahren möchte, ist herzlich zur Lesung von Alina Gromova am 9. September in die Akademie des Jüdischen Museums Berlin eingeladen, Anmeldungen unter Tel. 030-25993 488 oder reservierung@jmberlin.de.

Julia Jürgens, Akademieprogramme  »Migration und Diversität«

 

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