Strapazen einer Wahrheitssucherin (Teil zwei)

Durch eine Vitrine sieht man eine andere Vitrine, die mit Essen gefüllt ist

Aufbau der Vitrinen für die Ausstellung »Die ganze Wahrheit«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal Friedlander

Die Ausstellung »Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten« wird nächste Woche eröffnet. Das Kuratorinnenteam tritt ein paar Schritte zurück, um die schönen Schaukästen zu bewundern, und wir beglückwünschen uns reihum zu dem gelungenen Ergebnis unserer Arbeit.

Schön wär’s. Folgen Sie mir durch meinen Nachmittag:

13:45    Nachdem wir in der Kantine unsere Essenstabletts weggebracht haben, Gedränge an der Eistruhe. Ich weiche zum Süßigkeitenständer aus. Abwägungen; Beratung mit den Kolleginnen. M&Ms, Toblerone und Ritter Sport. Verpackungen aufgerissen, noch ehe wir den Raum verlassen.

Eine Vitrine in magenta, daneben eine Leiter und zwei Menschen

Aufbau der Vitrinen für die Ausstellung »Die ganze Wahrheit«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michal Friedlander

14:00    Schaue die 13-seitige Liste mit Fragen durch, die Museumsbesucher zu Juden, zum Judentum und zum Jüdischen Museum Berlin gestellt haben. Vieles wiederholt sich. Die Liste muss für die Ausstellung ausgemistet werden. Hier ein paar Auszüge:

Warum gibt es so viele jüdische Museen, und wer zahlt das alles?
Sind Juden normal?
Haben Juden Hörner?
Warum glauben Juden, dass sie was Besonderes seien?
Warum leben nicht alle Juden in Israel?
Warum haben die Juden sich nicht gegen die Nazis gewehrt?
…?

Zeit für die nächste Zuckerdosis.

Die Kuratorin Michal Friedlander liegt auf einem der Schaukästen

Kuratorin beim Test der Vitrinenstabilität
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Thomas Valentin Harb

16:00    Vitrinenbeine in Berlin angekommen, hurra! In froher Erwartung und von der Toblerone befeuert hasten wir in die Ausstellungsräume hinüber. Dort erwartet uns die Restaurierungsabteilung. Werden die Vitrinen den Rütteltest überstehen? Sie werden gewaltsam durchgerüttelt und erweisen sich als standfest. Große Erleichterung allerseits.

16:50    Eine der Vitrinen hat ein eingebautes Mikrofon, in das die Besucher sprechen sollen. Das Mikrofon ist in einer Höhe von 1 Meter 20 angebracht. Es scheine mir besser, wende ich ein, wenn unsere größer gewachsenen Besucher nicht zum Hinkauern gezwungen wären, um es zu benutzen. Wir rufen den Gestalter her. Die Höhe sei so gewählt, sagt er, dass auch Kinder und Besucher im Rollstuhl hineinsprechen können. Eine Schikane für Hochgewachsene.

Porträt von Michal Friedlander

Michal Friedlander © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Thomas Valentin Harb

17:30    Grafik-Designer am Telefon. Ja, die 10.000 Post-it-Zettel sind gedruckt und versandbereit. Sie enthalten einen Hinweis auf die Facebook-Seite des Museums. Da hat sich übrigens ein kleiner Tippfehler eingeschlichen, der Link führt zu einem Mann in Mexiko.

Der Abend liegt noch vor uns. Wo sind die M&Ms?

Michal Friedlander, Kuratorin für Judaica
und angewandte Kunst

Kommentiert von Klaus Gafka am 21. März 2013, 08:55 Uhr

In den Internet Nachrichten lese ich, dass das jüdische Museum mit Gelassenheit eine Ausstellung über Vorurteile gegen Juden macht!
Gibt es eigentlich was schlimmeres als „Juden“? – Ich lese gerade „Der Friedhof in Prag“ von Eco. Eine wahnsinnige Sammlung von Vorurteilen gegenüber Juden. Kriegen Sie so etwas auch hin – in solch komprimierter Fassung?
Diese Art der Darstellung (Eco) hat aber den Vorteil, dass es wirklich nachdenklich macht über die „Wahrheit“ zum Judentum.
Insofern hoffe ich auch für Sie, dass Ihre Ausstellung viele zum Nachdenken bringt.
Es wäre auch zu begrüßen, wenn sich jüdische Gemeinden mehr öffnen würden und nicht (nur) von einigen wenigen besucht würden.
Viel Erfolg

Klaus Gafka

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