Veröffentlicht von am 9. Juli 2013 0 Kommentare

Vor Gericht und im Fernsehen:

Ein neuer Raum zum Auschwitz-Prozess in der Dauerausstellung

Letzten Oktober schrieb ich hier im Blog bereits über Memorandum, den kanadischen Dokumentarfilm zum Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965), der seit Jahren in Ausschnitten in unserer Dauerausstellung zu sehen ist. Wir beobachteten, dass unsere Besucher diesen Filmausschnitt sehr viel intensiver wahrnahmen als die Fotos, Audios und Dokumente zur juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Deshalb spielte dokumentarisches Filmmaterial bei der Neugestaltung dieses Bereichs unserer Dauerausstellung eine zentrale Rolle.

Schwarze Monitorkuben mit einem Frauengesicht in schwarz-weiß auf dem Bildschirm

»Mein Mann war zwar sehr genau, aber (…) das kann ich mir alles nicht vorstellen«, sagte die Ehefrau des Auschwitz-Täters Wilhelm Boger den NDR-Reportern.
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Alexander Zuckrow

Vor wenigen Tagen haben wir den neuen Raum mit dem Titel »Vor Gericht: Auschwitz/Majdanek« nun wiedereröffnet. Um zu vermitteln, wie der Frankfurter Auschwitz-Prozess den öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland veränderte und prägte, zeigen wir hier jetzt verschiedene zeitgenössische Fernsehbeiträge. In der internationalen Fernsehberichterstattung über diesen Prozess kommen bahnbrechende Fragen zum Umgang mit der NS-Zeit zum Ausdruck.

Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess dauerte 20 Monate und fand ein breites Echo in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Mehr als je zuvor berichteten die Medien über den systematisch geplanten Massenmord in den Lagern und über die Täter, die ihn bereitwillig ausgeführt oder daran mitgewirkt hatten. Auch die Zeugenaussagen der Überlebenden – im Auschwitz-Prozess sagten 211 ehemalige Häftlinge aus – gelangten an die Öffentlichkeit.

Der FAZ-Journalist Bernd Naumann, der den Auschwitz-Prozess kontinuierlich verfolgte, beschrieb das Gerichtsverfahren im niederländischen Fernsehen wie folgt:

»Wie die Vergangenheit noch einmal aufgestanden ist vor uns, das hat den, der nicht ganz aus Stein ist, wohl verändert. (…) Diese tödliche Maschinerie, diese Vollendung, mit der [der Mord] betrieben worden ist. (…) Das ist bisher so deutlich nicht geworden wie in diesem Auschwitz-Prozess.«

Neben diesem Interview zeigen wir unter anderem eine Sendung des Hessischen Rundfunks mit dem ganz nach 1960er Jahre klingenden Namen »Heute Abend Kellerklub«, in der Fritz Bauer, der hessische Generalstaatsanwalt und Initiator des Auschwitz-Prozesses, auftrat. Er beschreibt einem jugendlichen Publikum, was er den Angeklagten des Auschwitz-Prozesses im Grunde vorwirft: dass sie nicht in der Lage waren, »nein« zu sagen. Bauer sah im Auschwitz-Prozess die Chance, die Öffentlichkeit – und insbesondere die junge Generation – über die NS-Zeit aufzuklären. Andere prägnante Ausschnitte aus seinem Talk sind auf der Website des Hessischen Rundfunks zu sehen.

Drei schwarte Monitorkuben im Ausstellungsraum

Die schwarz glänzenden Monitorkuben gestalteten Holzer Kobler Architekturen GmbH.
Die Konzeption und Realisierung der Videoinstallation übernahm das Studio TheGreenEyl.
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Alexander Zuckrow

Insgesamt haben wir 18 Sequenzen aus kanadischen, niederländischen und westdeutschen Produktionen ausgewählt, die in einer raumgreifenden, 30-minütigen Installation an drei Monitoren ausgespielt werden. Die Videos scheinen in den schwarz glänzenden Monitorkuben in einer bedächtig rhythmisierten Abfolge auf. Kurze Zwischentexte greifen Stichworte aus den Filmsequenzen auf, erklären, wer spricht, und verorten das Material in seinem historischen Kontext. Den Auftakt zu dieser Installation bildet ein zweiminütiger Ausschnitt aus dem legendären Fernsehinterview von Günter Gaus mit Hannah Arendt, in dem diese sagt: »Da ist irgendetwas passiert, mit dem wir alle nicht mehr fertig werden.« Das Interview ist in voller Länge auf YouTube zu sehen:

Die Fernsehbeiträge in dem neu gestalteten Bereich unserer Dauerausstellung sind keine bloße Illustration, sondern selbst als Exponate inszeniert. Sie veranschaulichen, wie der Auschwitz-Prozess und seine mediale Rezeption eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit anstieß, die bis heute andauert.

Monika Flores Martínez, Dauerausstellung

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