Veröffentlicht von am 16. Juli 2015 0 Kommentare

»Beide … sind in mir zu Hause«

Die vielen Gesichter von Isaak und Ismael, Teil 2

Wie vor Kurzem angekündigt, wollen wir Ihnen diesen Monat erneut eine Auswahl an Clips aus unserer Videobox »Are you Isaac or are you Ismael?« zeigen. Diesmal haben wir diejenigen ausgewählt, in denen sich die Besucherinnen und Besucher mit der Perspektive beider Söhne Abrahams identifizieren bzw. in denen sie meinen, wie es eine Dame poetisch ausdrückt: »Beide sind in mir zu Hause.« Aber wer waren Isaak und Ismael überhaupt und welche Bedeutung haben sie in den drei monotheistischen Religionen?

Die Auswahl der Videoclips besorgte Lisa Albrecht, die weiterhin ab und zu lächelnd neben der Box sitzt.

Im Judentum wie im Christentum gilt Isaak als erstgeborener Sohn von Abraham und Sara. Bereits einige Jahre vor der späten Geburt Isaaks zeugte Abraham allerdings mit seiner Nebenfrau Hagar, die aus Ägypten stammte, einen anderen Sohn mit Namen Ismael. Zu dem Zeitpunkt, an dem die biblische Geschichte auf jenen dramatischen Höhepunkt zusteuert, den unsere Ausstellung »Gehorsam: Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway« thematisiert, war Hagar mit ihrem Sohn Ismael bereits verstoßen und sprichwörtlich in die Wüste geschickt worden.

Farbabbildung einer mittelalterlichen Illustration der biblischen Geschichte

Hammelburger Machsor, Hammelburg 1347/1348 © Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt

In jenem Kapitel der Tora (1. Buch Mose 22:2) befiehlt Gott Abraham: »Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh hin in das Land Morija und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.« Abraham gehorcht, und wird im letzten Moment von der Tat abgehalten, weil ein Engel, der von seinem Gottesgehorsam überzeugt ist, ihm einen Widder schickt, der anstelle Isaaks geopfert wird.

Isaak wird zum Zukunftsträger des Volkes Israels und gilt im Judentum neben seinem Vater Abraham und seinem späteren Sohn Jakob als ein Stammvater. In der jüdischen Liturgie zu den Hohen Feiertagen, dem jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana und dem Versöhnungstag Jom Kippur, hat die Überlieferung der sogenannten ›Bindung Isaaks‹ einen festen Platz.

Blick in einen Raum mit vielen Kruzifixen an der Wand und einer Bildprojektion mit Darstellung der biblischen Geschichte

Blick in den Raum »Christentum« in der Installation »Gehorsam« © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

In der christlichen Überlieferung reicht der Stammbaum Christi über Isaak bis hin zu Abraham. Die Opferungsgeschichte wird hier als Vorzeichen der Kreuzigung und Auferstehung Christi interpretiert. Auch in der christlichen Liturgie nimmt das biblische Geschehen einen festen Platz ein und wird zu Ostern rezitiert.

Im Koran wird der Sohn in der dramatischen Erzählung der Beinahe-Opferung nicht namentlich genannt. Da Ismael, der Stammvater der Araber, im Islam als Erstgeborener Abrahams gilt, ist er nach einer weit verbreiteten Auslegung auch derjenige, der auf Gottes Befehl hin geopfert werden soll. Viel bedeutender als die Frage, welchen Sohn Abraham opfern sollte, aber ist im Islam das Opferfest selbst, das sich auf die Geschichte von Abraham und Ismael bezieht. Es ist Teil der Hadsch, der Pilgerreise nach Mekka, und das Schlachten eines Tieres symbolisiert die Gottestreue, die in Abrahams Folgsamkeit zum Ausdruck kommt. Zugleich ist das Tieropfer als eine wohltätige Handlung zu verstehen, da das Fleisch zu je einem Drittel an die engste Familie, an Verwandte und an Hilfsbedürftige verteilt wird.

Ein Raum mit Teppich und Bildprojektionen an der Wand, in dem vier Tische stehen, darauf Bücher, drumherum Stühle

Der Raum »Islam« in der Installation »Gehorsam«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

 

Die Erzählung von der Bindung bzw. (verhinderten) Opferung des Sohnes durch Abraham ist in den Heiligen Schriften der monotheistischen Religionen durchaus ähnlich, die Auslegungen hingegen unterscheiden sich erheblich. Während Abraham der gemeinsame Stammvater von Judentum, Christentum und Islam ist, gelten seine beiden Söhne Isaak und Ismael als Ahnen und Begründer verschiedener Religionen. Als Brüder sind sie miteinander vereint und getrennt zugleich.

Diese Gemeinsamkeit bei gleichzeitiger Differenz kommt auch im ersten Raum der Ausstellung »Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway« zum Ausdruck. Zahlreiche junge Menschen identifizieren sich hier mit den beiden Söhnen der Geschichte. Wie wir nun bemerkt haben, tun viele unserer Besucher das auch. Was ist Ihre Perspektive auf die biblische Geschichte?

Wenn Sie uns diese mitteilen wollen, dann kommen Sie zur Videobox in der Eric F. Ross Galerie. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Jihan Radjai, die zur Umsetzung der Videobox beigetragen hat, staunt nun über die rege Teilnahme unserer Besucher und Besucherinnen.

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