Fußballfreunde

Heute Abend wird in Netanja das erste Spiel der U-21-Fußball-Europameisterschaft angepfiffen. Antreten werden die Mannschaften von Israel und Norwegen. Besonders für die Spieler der israelischen Mannschaft wird das Auftaktspiel in ihrem Heimatland etwas Besonderes sein.

Da ich ein großer Fußballfan bin, ist diese EM für mich der Anstoß gewesen, mich über den Sammlungsbestand des Jüdischen Museums zum Thema Fußball zu informieren. In unserem Online-Schaukasten finde ich eine »kleine Geschichte des jüdischen Fußballs« und in unserer Sammlungsdatenbank mehrere Objekte, die meine Neugierde erwecken. Ein Foto aus dem Jahr 1936 oder 1937 spricht mich besonders an. Ich finde es spannend, dass Fußball bereits in den 1930er Jahren eines der Dinge war, die Jungs in ihrer Freizeit begeisterten. Auf dem Foto ist der 1924 geborene Walter Frankenstein (hintere Reihe, Mitte) zusammen mit seiner Fußballmannschaft zu sehen:

Schwarz-weiß-Fotografie: Mannschaftsaufstellung einer Jungen-Fußballmannschaft

Das Fußballteam des Auerbach’schen Waisenhauses von 1936 oder 1937. Stiftung von Walter Frankenstein (hintere Reihe, Mitte). Fotograf unbekannt
© Jüdischen Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Alle Jungen auf dem Bild sind zu diesem Zeitpunkt Bewohner des Auerbach’schen Waisenhauses in der Berliner Schönhauser Allee. Im eigentlichen Sinne des Wortes war dies kein Waisenhaus, denn es nahm Jungen und Mädchen auf, deren Vater gestorben war und deren Mütter sich aus den verschiedensten Gründen nicht oder nicht genügend um ihre Kinder kümmern konnten.

Besonders an diesem Foto ist, dass Walter Frankenstein die Initialen aller Jungen auf das Foto schrieb und er durch diese Gedächtnisstütze dem Jüdischen Museum Jahrzehnte später die vollständigen Namen aller Mitspieler nennen konnte. Ihre Geschichten sind ganz unterschiedlich. Egon Strassner, in der mittleren Reihe ganz rechts stehend, wurde zusammen mit anderen Jungs des Waisenhauses 1940 nach Riga deportiert und später im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Der kleine Hans Meier in der Mitte der zweiten Reihe wanderte 1938 nach Palästina aus und wurde später Chef des israelischen Davis Cup Teams. Gerhard Eckstein (hintere Reihe, links) starb in Auschwitz und Walter Frankensteins bester Freund Rolf Rothschild (zweite Reihe, zweiter von links) konnte 1939 nach Schweden ausreisen. Walter Frankenstein selbst tauchte 1943 mit seiner Frau Leonie und seinem neugeborenen Sohn Peter-Uri unter. Ihnen wurde noch ein zweiter Sohn geboren, bevor sie 1945 das Kriegsende im Berliner Untergrund erlebten.

Ein älterer Herr und einige junge Frauen in einem Stuhlkreis

Walter Frankenstein während eines Archivworkshops im Gespräch mit Jugendlichen der Jüdischen Gemeinde Groß-Dortmund im Juli 2012 © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Michaela Roßberg

Obwohl er schon seit langer Zeit in Schweden lebt, besucht Herr Frankenstein das Jüdische Museum Berlin regelmäßig und tritt als Zeitzeuge in unseren Archivworkshops auf. Dort erzählt er Jugendlichen seine Geschichte, beantwortet Fragen zu seinem Überleben in Berlin und spricht mit ihnen über die Zeit des Nationalsozialismus. Im letzten Jahr habe ich an einem solchen Workshop teilgenommen und war beeindruckt von seinen detaillierten Erinnerungen und der Ernsthaftigkeit, mit der er mit den Schülern sprach.

Bevor ich mich daran setzte, diesen Text zu schreiben, habe ich mit Herrn Frankenstein telefoniert. Ich bat ihn um die Erlaubnis, sein Foto im Blog des Jüdischen Museums zu veröffentlichen. Obwohl es 9:15 Uhr am Morgen war und das Bild aus seiner Kinderzeit bereits seit fünf Jahren im Depot des Museum liegt, wusste er sofort, um welche Aufnahme es sich handelt. Er meinte: »Ach, es ist das Foto vor der Bank und der kleine Hans Meier steht in der Mitte. Natürlich können Sie das Foto verwenden.«

Ich werde heute Abend das Eröffnungsspiel der EM in Netanja im Fernsehen verfolgen und bin mir sicher, dass ich bei dem Mannschaftsfoto vor dem Anpfiff an die elf Jungs aus dem Auerbach’schen Waisenhaus denken werde. Genau wie die Spieler heute posierten auch sie vor dem Anpfiff für die Kamera.

Michaela Roßberg, Wissenschaftliche Volontärin

Kommentiert von Gabriele Bock am 31. Januar 2015, 09:35 Uhr

Ich heiße Gabriele Bock, früher: Niemeyer, geb. Mack und war mit den JUSOS (Bonn) 1961/62 als eine der ersten dt. Gruppen (Willy Brandt hat sich darum sehr bemüht) zum „Austausch“ nach Kfar Jedidia, Emek Hefer, Netania eingeladen in die dt-israelischen Familie Werner Frankenstein (aus der Mannheimer Umgebung geflohen). Neben meinem Nachttisch lagen viele Fußballzeitungen aus Deutschland („KICKER“), die Werner Frankenstein sehr hütete…
Nun meine Frage: hat das mit Ihrem Foto etwas zu tun? Ich wüßte so gerne, wer und was noch existiert… Da ich lange – fast 30 Jahre – nicht mehr in Deutschland lebte, habe ich in den vielen Ländern, in denen ich arbeitete, den Kontakt verloren (Briefe nicht angekommen?).
Ich danke Ihnen für einen Hinweis oder eine Nachricht, vielleicht findet sich etwas über die Fußball-Jungs in Mannheim?
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Bock

Kommentiert von Michaela Roßberg am 5. Februar 2015, 15:09 Uhr

Sehr geehrte Frau Bock,

haben sie herzlichen Dank für Ihren Kommentar zu meinem Blogbeitrag. Leider ist der von Ihnen erwähnte Werner Frankenstein kein direkter Verwandter von Walter Frankenstein. Die Familie von Walter Frankenstein stammte aus Berlin, wo er auch seine komplette Kindheit verbrachte. Eine Kollegin von mir hat aufgrund Ihres Kommentars außerdem in „Nicht mit uns“ nachgeschaut, der Autobiographie von Walter Frankenstein und seiner Frau Leonie. Aber auch dort wird leider kein Mann oder Junge mit Namen Werner erwähnt. Es besteht wahrscheinlich keine Verbindung zwischen den Familien aus Mannheim und Berlin.

Mit freundlichen Grüßen aus der Blogredaktion

Michaela Roßberg

Kommentiert von Adam Blaszczyk am 21. Oktober 2015, 07:03 Uhr

Ein sehr interessanter, geradezu „lebendiger“ Blog – mit einem bitteren Beigeschmack: Auch als Nicht-Jude musste ich schwer schlucken beim Passus, was aus den Jungs später wurde. Man wird das, was geschehen ist wahrscheinlich niemals völlig verstehen können, wenn es überhaupt verstanden werden kann. Doch es entsteht der Eindruck, dass es sich „abnutzen“ könnte mit der Zeit. Das Aufzeigen von Einzelschicksalen, besonders im Falle von Kindern und späteren Erwachsenen berührt dabei intuitiv und wirkt dem Vergessen entgegen.
Mein Heimatland, Polen, fällt mir sehr unangenehm auf mit seinem Anti-Semitismus, seiner zunehmenden Fremdenfeindlichkeit, die in ganz Europa eine neue Rennaissance feiert. Doch ausgerechnet Polen? Das so sehr unter der Nazi-Besetzung leiden musste. Auch die hiesigen Verhältnisse sind besorgniserregend. Wir haben keine Flüchtlings-, sondern eine Nazi-Krise! Und das ausgerechnet in Deutschland. Wenn es eine Chance gibt der Menschenverachtung ein Gesicht zu geben und gleichzeitig Paroli zu bieten, sind es v.a. Bilder und Geschichten von Kindern. Nicht, dass das Leben von Erwachsenen weniger wert wäre. Doch wer hierbei nicht versteht, wie falsch Rassismus in all seinen Formen ist, der wird es nie mehr verstehen. Und sollte kein Gehör und keinen Raum mehr finden. Nicht in diesem Land – gerade nicht in diesem – und auch in keinem anderen.

Einen Kommentar hinterlassen