Schmuggelware in der Vitrine

Eine lange Vitrine mit vielen Büchern und Zeitschriften, Coverbildern und Begleittexten

Ansicht der Kabinettausstellung »Im fremden Land. Publikationen aus den Lagern für Displaced Persons« im Untergeschoss des Libeskind-Baus.
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

In unserer Kabinettausstellung »Im fremden Land« geben wir Einblick in die Publikationstätigkeit jüdischer Überlebender und Flüchtlinge nach 1945, die als sogenannte Displaced Persons (DPs) im besetzten Deutschland gestrandet waren. Für unsere Schau haben wir Bücher unterschiedlichsten Inhalts ausgewählt: Lehrbücher, Judaica, Gedicht- und Prosabände, aber auch historische Dokumentationen oder zionistische Zeitschriften.

Zwei Dinge haben sie jedoch gemeinsam: Erstens ist die Papierqualität dieser Nachkriegsdrucke denkbar schlecht. Zweitens stammen sie alle aus der Staatsbibliothek zu Berlin, die mit ihrer historisch wertvollen Sammlung von DP-Literatur für diese Ausstellung zu Gast im Jüdischen Museum Berlin ist.

Wenn da nicht eine kleine Ausnahme wäre. Denn unser Papierrestaurator war etwas ratlos, als es darum ging, das allererste Exponat geöffnet in der Vitrine zu fixieren. Es handelt sich um Namenslisten jüdischer Überlebender. Noch vor den einzelnen Kapiteln der Ausstellung, die sich mit dem »geretteten Rest«, Büchern über die »letzte Zerstörung«, Ausbildung und Auswanderung sowie Religion und Tradition beschäftigen, wollten wir diese äußerlich unscheinbare, für die Überlebenden in ihrer damaligen Situation aber äußerst wichtige Publikation ausstellen. Fünf solcher Listen hatte der amerikanische Militärrabbiner Abraham J. Klausner zusammengestellt. Denn als er 1945 das befreite KZ Dachau erreichte, hatten Überlebende ihn darum gebeten, ihnen bei der Suche nach Verwandten zu helfen. Seite um Seite sind in den Listen Vor- und Familiennamen, Geburtsort, Geburtsjahr und der aktuelle Aufenthaltsort – in den meisten Fällen ein DP-Camp – verzeichnet.

Ein aufgeschlagenes Heft mit Namenslisten in einer Vitrine

Das erste Ausstellungsobjekt in der Vitrine wurde aus unseren Beständen ›eingeschmuggelt‹. Neben der aufgeschlagenen Liste sehen Sie zudem hebräische Lettern, deren Typografie aus den verschiedenen ausgestellten Druckwerken stammt, sowie Drucklettern aus Blei. Diese gehören zum Bestand des Jüdischen Museums München und wurden in der Buchdruckerei Garfinkiel in München verwendet, die von ehemaligen DPs gegründet wurde und von 1950 bis 1974 die jiddischsprachige Zeitschrift »Naje jidische Zajtung« druckte. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Ein beklemmendes Zeugnis der Nachkriegsrealität. Doch eben nur, wenn es aufgeblättert gezeigt werden kann. Im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin sind die fünf Listen zu einem gemeinsamen Band zusammengefügt, der sich schwer aufgeklappt in die Vitrine legen ließ. Geschlossen ist die Publikation jedoch unscheinbar, wie so vieles, was damals unter prekären finanziellen und technischen Bedingungen hergestellt wurde.

Da fiel uns ein, dass diese fünf Listen auch in unseren eigenen Museumsbeständen vorhanden sind. Sie sind über eine Schenkung von Amos Klausner, dem Sohn Abraham J. Klausners, in unser Archiv gekommen und bei uns als Einzellisten bewahrt. Recht spontan entschieden wir uns deshalb, ein Exemplar aus unseren eigenen Beständen in die Vitrine zu schmuggeln. Eine der Listen war gerade bei der Restaurierung, weshalb wir sie gar nicht einsehen konnten. Doch die dritte der fünf gedruckten Listen hat es dann tatsächlich in unsere Ausstellung geschafft. Unter dem Titel »Sharit ha-Platah Bavaria« enthält sie tausende von Namen überlebender Jüdinnen und Juden in Bayern – den dortigen »geretteten Rest«.

Noch bis zum 15. Dezember 2015 können Sie sich in unserer Ausstellung im Untergeschoss des Libeskind-Baus selbst einen Eindruck von dieser und weiteren DP-Publikationen verschaffen.

Tamar Lewinsky und Ulrike Sonnemann, Kuratorinnen der Ausstellung, haben sich zwar über das gelungene Einschmuggeln gefreut, lesen in der Regel aber legal erworbene Bücher.

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