Veröffentlicht von am 14. Juni 2016 2 Kommentare

Wie ich meinen inneren Hans-Jürgen entdeckte

Unser Projekt zur Topografie jüdischen Lebens in Deutschland

Dana Müller fotografiert einen Stolperstein

Stolperstein für Editha Machol in der Yorkstraße 88 in Kreuzberg; Jüdisches Museum Berlin

»Ich habe für Dich wieder Hans-Jürgen gespielt«, sagte mein Vater vergnügt, als er mich am Pfingstwochenende anrief. Hans-Jürgen ist 68, pensionierter Lehrer und interessiert sich für jüdische Regionalgeschichte. Nun ist mein Vater kein pensionierter Lehrer und heißt eigentlich Rudi, hat aber sozusagen Hans-Jürgen-spezifisches Verhalten gezeigt: Er hat an einer öffentlichen Führung auf einem jüdischen Friedhof in seinem Heimatort teilgenommen, seine Eindrücke fotografisch festgehalten und uns nach Berlin geschickt. Denn Hans-Jürgen gibt es so gar nicht, er ist nur eine der fiktiven Personen, die wir genutzt haben, um einen Prototypen – eine Art Test-Vorab-Version – für eine kartografische Anwendung zu entwickeln. Dieser Prototyp ist die Grundlage für das Online-Portal, das wir in den kommenden zwei Jahren im Jüdischen Museum Berlin realisieren wollen. Ziel ist es, erstmals umfassende Informationen zu Orten jüdischen Lebens in Deutschland zentral zu erfassen und auf einer interaktiven Karte online zugänglich zu machen.

Screenshot einer interaktiven Deutschlandkarte

Prototyp des Projekts »Topografie jüdischen Lebens in Deutschland«

Der Prototyp, den wir mit Unterstützung der Rothschild Foundation (Hanadiv) Europe umgesetzt haben, dient dazu, ein Konzept für das Design und die Informationsarchitektur des zukünftigen Portals zu entwickeln. Entstanden ist eine Karte in den Grenzen der heutigen Bundesrepublik, die neben Synagogen, Friedhöfen, Mikwaot, also rituellen Tauchbädern, und Schulen auch säkulare Orte wie Standorte von Musik- und Sportvereinen oder Lesegruppen verzeichnet.

Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof.

Jüdischer Friedhof Ottweiler, Mai 2016; Foto: Rudi Müller.

Indem mein Vater Fotos von einem jüdischen Friedhof gemacht und uns zugeschickt hat, hat er die Idee des Collaborative Mapping aufgegriffen, welche zentral für unsere Kartenentwicklung ist. Denn die Karte soll permanent erweiterbar sein und von den Besucher*innen mitgestaltet werden. Nutzer*innen sind eingeladen, eigene Bilder, Filme und Texte mit Geo-Koordinaten zu versehen und hochzuladen. Nach redaktioneller Prüfung werden die Informationen als User Generated Content veröffentlicht.

Die Idee des Collaborative Mapping umfasst aber ebenso, dass wir die zahlreichen Websites zu jüdischer Regionalgeschichte, die in den letzten Jahren entstanden sind, in die Karte einbinden. Diese Web-Angebote wurden von öffentlichen Institutionen, aber auch von lokalen Initiativen und engagierten Privatpersonen erarbeitet. Die vorhandenen Online-Angebote sind bislang jedoch kaum miteinander verbunden und entsprechen in technischer Hinsicht oft nicht den gängigen Standards. Diesen Websites soll durch die Karte in Zukunft zu mehr Sichtbarkeit verholfen werden.

Screenshot einer interaktiven Karte

Prototyp des Projekts »Topografie jüdischen Lebens in Deutschland«; Fotografie von Heidelberg: Joachim Hahn, 2004, Text von Joachim Hahn, www.alemannia-judaica.de

Damit das Angebot nicht nur für Hobbyhistoriker*innen wie unseren fiktiven Hans-Jürgen, sondern auch für eine jüngere Zielgruppe attraktiv ist, wird das Portal in enger Anbindung an »on.tour – Das Jüdische Museum Berlin macht Schule« entstehen, das mit einer mobilen Ausstellung Schulen in ganz Deutschland besucht (mehr Infos zu on.tour auf unserer Website). On.tour bringt den Schüler*innen in Workshops die jüdische Geschichte ihrer Region nah. Hierfür soll zukünftig die Karte eingesetzt werden.

Auch ich habe meinen inneren Hans-Jürgen entdeckt, steige oft in Berlin vom Fahrrad, um koschere Supermärkte oder frühere jüdische Wohnhäuser zu fotografieren und bin nun viel aufmerksamer auf meinen Wegen durch die Stadt. Wir hoffen, dass es vielen Nutzer*innen ähnlich gehen wird und sie Lust haben, Inhalte zu der Karte beizutragen. Die Veröffentlichung des Portals ist für Mitte 2018 geplant. Wer jedoch vorab schon Inhalte für die Karte teilen möchte, kann gerne an d.mueller@jmberlin.de schreiben.

Dana Müller begleitete zuletzt den on.tour-Bus nach Rheinland-Pfalz und konnte so jüdische Orte in Mainz entdecken.

Zum Projekt auf unserer Website

Kommentiert von Ana María Jurisch am 14. Juni 2016, 21:13 Uhr

Liebe Dana,

ich sende dir hier einen Link zur Synagoge in Riedstadt, die zufällig von Freunden entdeckt und wieder aufgebaut wurde als sie das Haus/den Bauernhof kauften auf dem die Synagoge steht. Eine sehr ergreifende Geschichte. Falls du Kontakt aufnehmen willst versuche es über die Website und sonst würde ich dir die Daten der Familie senden die den Wiederaufbau organsiert haben. http://www.gg-online.de/html/synagoge_erfelden.htm

Falls du Fragen hast …. immer gerne und viel Erfolg bei diesem wunderbaren und wichtigen Projekt.

Ana María Jurisch
Mobil: 0163 682 6797
E-Mail: ana.jurisch@t-online.de
http://www.anamariajurisch.de

Kommentiert von Dana Müller am 15. Juni 2016, 09:57 Uhr

Liebe Ana María Jurisch,

vielen Dank für den Hinweis auf die wieder aufgebaute Synagoge in Riedstadt und die guten Wünsche für das Projekt.
Wir freuen uns, wenn wir die Geschichte in unser Portal einbinden können und sehr gerne kontaktiere ich den Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau e.V. über die Website.

Herzliche Grüße

Dana Müller

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