Horror und Magie der Golem-Stummfilme

Filmszene, in der sich der Golem über eine halb ohnmächtig auf dem Sofa liegende Tänzerin beugt

In der Verwechslungskomödie Der Golem und die Tänzerin aus dem Jahr 1917 persifliert Paul Wegener seinen Film Der Golem von 1915; Foto: Deutsches Filminstitut, Frankfurt a.M./Nachlass Paul Wegener – Sammlung Kai Möller.

Januar 1915, der Golem erblickt am Berliner Kurfürstendamm zum ersten Mal das Licht der Kinoleinwand und fesselt als modernes Monster das Publikum. Parallel toben südöstlich der belgischen Stadt Ypern die Kämpfe des Ersten Weltkriegs. Auf diesen ersten Golem-Stummfilm folgen Schlag auf Schlag, 1917 und 1920, gleich zwei weitere, die in Berlin uraufgeführt werden. Immer wieder ist es Paul Wegener, der nicht nur die Idee zu diesen Filmprojekten hat, sondern auch die Drehbücher schreibt und jedes Mal selbst die Hauptrolle spielt – den Golem.

In der aktuellen Ausstellung GOLEM (mehr auf www.jmberlin.de/golem) widmet sich ein Themenraum diesen drei Stummfilmen. Dank großartiger Leihgaben konnten wir hier prägnante Filmausschnitte, fantastische Szenenfotografien, ausdrucksstarke Plakate und Kulissenentwürfe vereinigen. Wie aber die einzelnen Exponate sich zueinander verhalten, miteinander in Beziehung treten, wirken, das war für uns im Vorfeld bei deren Auswahl nicht immer vorstellbar und wurde erst nach Ankunft und Installation der Originale sicht- und erfahrbar.

Ausstellungsraum mit roten Wänden, an denen Bilder hängen oder in die Vitrinen eingelassen sind

Blick in den Ausstellungsraum zum Thema »Horror und Magie«; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Dass ein bestimmtes Bild im Raum immer wieder auftauchen würde, war uns hingegen von Anfang an klar: das scharfgeschnittene Gesicht Paul Wegeners, das in allen drei Stummfilmen von einer starren, helmartigen Prinz-Eisenherz-Perücke bekrönt wird. Mit dieser Perücke auf dem Kopf hat Wegener der jüdischen Legendenfigur wie kein anderer Filmschauspieler sein Gesicht verliehen. Dieses Bild ist über das moderne Massenmedium Kino in die Welt projiziert worden und bis heute präsent. Wegener selbst hat durch aktives »Branding« zum Erfolg der Vermarktung seines Golemgesichts beigetragen: Ob auf Visitenkarten oder Briefpapier – alles wurde mit ein und demselben Emblem geschmückt, das sich mit der Zeit modernisierte: dem Wegener’schen Golemkopf.

Werbekarte »Der Golem. Kamera unter den Linden« und Briefkopf »Paul Wegener Film AG«

Diese Werbekarte und diesen Briefkopf mit dem Wegener’schen Golem-Kopf findet man im Deutschen Filminstitut in Frankfurt am Main.

Wegener bekam schon im ersten Golem-Film für gefährliche Szenen einen Puppen-Double an die Seite gestellt. Auf einer besonders interessanten Fotografie von 1915, die wir in der Ausstellung zeigen, sind diese beiden Golems nebeneinander abgebildet. Tatsächlich ist mir erst bei näherer Betrachtung des Originals ein prägnanter Unterschied der beiden scheinbar identischen Golems aufgefallen. Sehen Sie ihn auch?

Schwarz-Weiß-Fotografie von zwei nahezu identischen Golems mit Pagenschnitt

Paul Wegener posiert hier im Golem-Kostüm neben seinem Puppen-Doppelgänger für den ersten Golem-Film von 1915; Foto: Deutsches Filminstitut, Frankfurt a.M./Nachlass Paul Wegener – Sammlung Kai Möller.

Während der Schauspieler den belebenden Stern auf der Brust trägt, fehlt dieser bei der unbelebten Puppe. Auf der Fotografie kann man auch gut das fantastische Kostüm erkennen, das der expressionistische Bildhauer Rudolph Belling für den Golem entwarf und das Wegener in allen drei Filmen trug. Mich erinnert das Golemkostüm an monumentale mittelalterliche Ritterstatuen aus Sandstein – so genannte Stadtrolande –, die noch heute in einigen Altstädten auf Marktplätzen oder an Rathäusern zu finden sind. Diese Rolande sind symbolische Verteidiger der Stadtrechte und damit der Freiheit. Das passt zur Beschützerrolle des Golems. Um jedoch das christlich konnotierte Bild des mittelalterlichen Ritters in den jüdisch-mystischen Kontext einzubetten, wurde die Tunika, die Wegener im Film trägt, mit allerlei hebraisierenden Fantasiebuchstaben sowie angedeuteten kosmologischen und okkulten Zeichen versehen – Sinn ergeben sie nicht.

Typoskript »Der Golem. Phantastisches Filmspiel in vier Akten von Paul Wegener u. Heinrich Galleen«

Erste Seite des Drehbuchs zum Golem-Film mit handschriftlichen Notizen Paul Wegeners. Paul Wegener/Henrik Galeen: Der Golem, Berlin, 1914, Typoskript, Inv.Nr.: V 70/1626 R,7; Stiftung Stadtmuseum Berlin

Dieser positiv gesprochen »freie Zugang« zum jüdischen Thema, der sich auch im Inhalt des Films zeigt, hat fast nichts mehr mit dem ursprünglichen Golemritual jüdischer Mystiker oder der jüdischen Golemlegende zu tun. Das war auch Stein des Anstoßes einer Filmkritik des jüdischen Schriftstellers Arnold Zweig. Er warf dem Drehbuchautor Paul Wegener vor, ein »ahnungsloser Verfasser« zu sein, und machte sich über dessen grobe Fehldeutungen des jüdischen Stoffs lustig: So bezeichnete Wegener beispielsweise den belebenden Stern auf der Brust des Golems fälschlich als »Schenn«. Offenbar wusste er nicht, dass mit dem korrekten hebräischen Wort »Schem« der Name G’ttes gemeint ist. Diese und andere kuriose Interpretationen Wegeners kann man wunderbar in Drehbuchauszügen mit handschriftlichen Notizen des Autors nachvollziehen, die wir ebenfalls in der Ausstellung präsentieren.

Wie zusammengestückelt und inhaltlich fragwürdig der Film von Wegener auch sein mag, so hat er doch ein beeindruckendes Zeitdokument geschaffen. Der Film und alle dazugehörigen Ausstellungsexponate spiegeln ganz deutlich die Schrecken des Ersten Weltkriegs, des Weltenbrandes wider. Dies mündete zum einen im Horror, der mit den Golem-Filmen als Genre in die Welt gekommen war. Zum anderen ist er Ausdruck der Magie, nicht nur des magischen Akts der Schöpfung künstlichen Lebens, sondern der Magie des damals brandneuen und modernen Massenmediums Film, des Zaubers der Traumfabrik, der schier unbegrenzten kreativen Möglichkeiten.

Dass der Golem-Stummfilm bis heute immer wieder aktualisierbar ist, zeigen die vielen Versuche musikalischer Unterlegung der eindrucksvollen Bilder des Filmklassikers. Von jiddischer Folklore bis hin zum Black Metal der experimentellen Rockband Fantomas. Für das Jüdische Museum Berlin wird der polnische Musiker Michał Jacaszek am 23. Januar 2017 ab 19 Uhr den Golem-Film von 1920 mit elektronischer Musik unterlegen (mehr in unserem Veranstaltungskalender). Machen Sie sich selbst ein Bild von dieser heutigen Lesart des Films und lassen Sie den Horror und die Magie der Objekte in der Ausstellung auf sich wirken – es gibt vieles zu entdecken!

Anna-Carolin Augustin würde selbst gerne mal die Golem-Perücke von 1915 aufsetzen, um herauszufinden, wie schwer sie tatsächlich ist.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. Januar, mehr unter: www.jmberlin.de/golem

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