Veröffentlicht von am 4. Oktober 2017 3 Kommentare

Vielschichtig, verwoben und emotional

Fachaustausch über politische Erwachsenenbildung zum Nahostkonflikt

Verschiedene Broschüren liegen auf einem Tisch, z.B. mit dem Titel »Woher kommt Judenhass?«

Viele Träger bieten Materialien zur pädagogischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus an; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Nadja Rentzsch

»Emotional« und »komplex« sind Schlagworte, die den Nahostkonflikt und den Umgang damit beschreiben. Wie geht man in der Alltagspraxis der Bildungs- und Fortbildungsarbeit damit um? So lautet eine der Fragen meines Forschungsprojekts »Didaktik des Nahostkonflikts« als W. M. Blumenthal Fellow (mehr zum Projekt auf der Museumswebsite).

Forscht man an der Universität oder an einem Institut, hat man in der Regel ein Forschungskolloquium mit Leuten, die zu ähnlichen Themen arbeiten oder zumindest aus derselben Fachdisziplin stammen. In diesen Kolloquien stellt man die eigene Arbeit vor, diskutiert die ersten Ergebnisse, bespricht den Umgang mit Schwierigkeiten und erhält neue Anregungen. An einem Museum beschäftigen die Menschen sich mit einer großen Vielfalt von Themen, aber nicht mit empirischer Forschung zur Didaktik des Nahostkonflikts. So lud ich für den 8. September externe Expert*innen der Bildungsarbeit über Nahostkonflikt, Antisemitismus und Rassismus ein, mit mir und Mitarbeiter*innen der Bildungsabteilung und der Akademieprogramme des Museums das Lehren und Lernen zum Thema zu diskutieren. Die Teilnehmer*innen arbeiten teilweise als Freiberufler*innen schon seit vielen Jahren in Berlin und anderswo mit Jugendlichen und Erwachsenen im Themenfeld Antisemitismus, teilweise haben sie selbst Bildungsträger dazu mit aufgebaut.

Foto einer Gesprächsrunde im Stuhlkreis

Fortbildung im Jüdischen Museum Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Nadja Rentzsch

Die Fortbildungsangebote zum Nahostkonflikt beinhalten oft Module zur Auseinandersetzung mit ressentimenthaften, stereotypen Vorstellungen über Israel und seine Rolle im Konflikt. Denn zu den in Jahrhunderten gewachsenen antisemitischen Vorstellungen einer »jüdische Macht« in der Finanzwirtschaft, den Medien und der Weltpolitik haben sich weitere Formen des Antisemitismus gesellt. Nach dem Holocaust war Antisemitismus tabuisiert, und das hat zum sogenannten sekundären Antisemitismus geführt – beispielsweise der Annahme, Deutschland zahle Unsummen an Entschädigung an »die Juden« und Israel. Als weitere neue Form, das antijüdische Ressentiment zu äußern, ist ein israelbezogener Antisemitismus entstanden. Dieser findet vor allem im Nahostkonflikt einen Ansatzpunkt, so dass Bildungsangebote dazu erforderlich scheinen.

Eine der größten Herausforderungen sehen die von mir eingeladenen Expert*innen darin, dass das Thema politisch und moralisch so stark aufgeladen ist. Sie erproben unterschiedliche Methoden, wie über den israelisch-palästinensischen Konflikt und über antisemitische Ressentiments gesprochen und reflektiert werden kann, und zwar sowohl auf Sach- als auch auf Gefühlsebene. Eine erste Hürde ist oft schon, dass Lehrkräfte und andere Professionelle in der Regel gar nicht sich selbst als Adressat*innen von Bildungsprozessen begreifen. Sie sehen in der Fortbildung allein eine Art Schulung, die sie zum besseren Umgang mit Schüler*innen und Jugendlichen in Freizeiteinrichtungen befähigen soll. Aus Sicht von Fortbildner*innen gehört dazu aber in einem ersten Schritt das Nachdenken über die eigenen Bezüge zum und Interessen am Thema. Diese liegen meist tiefer als der Lehrplanbezug oder problematische Äußerungen von Schüler*innen.

Nicht selten erleben die Fortbildner*innen, dass sich im Seminar schnell eine schweigende Mehrheit sowie zwei diametrale Pole von ein, zwei Personen herausbilden, die den israelisch-palästinensischen Gegensatz live und als Kampf zwischen Gut und Böse in Szene setzen. Wer solche Fortbildungen anbietet, muss entsprechend nicht nur ausgeprägte Moderationskompetenzen mitbringen. Auch ein Bewusstsein der eigenen Emotionen und psychischen Verwickeltheit ins Thema gehört dazu. Eine hohe Anforderung auch an die Guides unseres Museums in der ab Dezember zu sehenden Ausstellung Welcome to Jerusalem (mehr zur Ausstellung auf der Website).

Zur Sprache kam bei dem Fachaustausch außerdem die Bedeutung des Ortes, an dem eine Fortbildung stattfindet. Nicht untypisch ist die Erfahrung eines Teilnehmers, der mit Bildungsprogrammen zu aktuellem Antisemitismus an einer KZ-Gedenkstätte begann. Der ohnehin mit Gefühlen und Bedeutung aufgeladene Ort gibt der Thematisierung des Konflikts eine starke moralische Sinngebung vor. Für offene Lernprozesse ist dies nicht hilfreich. Das ist dem Jüdischen Museum Berlin nicht unbekannt, wird es doch vielfach auch als Gedenkort oder als eine Art jüdische Vertretung wahrgenommen.

Komplexität didaktisch zu reduzieren gehört generell zur Kunst des Lehrens und Vermittelns. Dennoch erleben die Fortbildner*innen wie auch die Mitarbeiter*innen des Museums die Vielschichtigkeit und Verwobenheit der Positionen und Sachlagen im Nahostkonflikt als besondere Herausforderung, gerade in Verbindung mit der Emotionalität. Eine gewisse Schieflage sehen die meisten darin, dass – auch im Vergleich zu den Diskursen in anderen Ländern – die Haltungen und Handlungen vieler arabischer und anderer Staaten meist ausgeblendet werden. Dabei waren und sind diese im historischen Verlauf oft viel handlungs- und wirkmächtiger als palästinensische Akteure. Der Nahostkonflikt erscheint in deutschen Debatten so auf den israelisch-palästinensischen Konflikt reduziert, und dieser scheint quasi im luftleeren Raum stattzufinden. Eine solche Gegenüberstellung befördert das Denken im Gut/Böse-Schema, statt es zu überwinden.

Viele weitere Punkte wurden angesprochen und in einer außerordentlich kollegialen Atmosphäre zwischen externen Bildungsarbeiter*innen, uns Fellows und den Mitarbeiter*innen der Bereiche Bildung und Akademieprogramme diskutiert. Eine Fortsetzung folgt bestimmt.

Dr. Rosa Fava ging hoch emotionalisiert in den Freitagabend, weil es ganz unkompliziert war, über schwierige Punkte mit viel Respekt und sehr niveauvoll zu diskutieren.

Kommentiert von Martina am 6. Januar 2018, 12:51 Uhr

Leider kostet es sehr viel Zeit, sich durch die Themen und Informationsmodule auf der Homepage zu klicken. Ich wünsche mir eine klarere, leichter zu handhabende Übersicht.
Ich bin sehr gern im Jüdischen Museum, und ich würde gern auch öfter mit meinem Deutsch-Kurs kommen. Auch hier ein Leider: warum hält sich der Irrglaube so stark, nur Grundschulkinder seien auf spielerische Weise für Museen zu begeistern, während Oberstufenschüler hauptsächlich an theoretischen Ausführungen Gefallen fänden? Natürlich muss es hier eine deutliche Verknüpfung geben, das ist wohl auch etwas anspruchsvoller als die Kleinen zu begeistern.

Kommentiert von Redaktion am 10. Januar 2018, 12:19 Uhr

Vielen Dank für das konstruktive Feedback, das wir gerne an die betreffenden Bereiche weitergeben! Für unsere Webredaktion, die stetig an einer Verbesserung der 2016 neu gelaunchten Homepage arbeitet, ist es unheimlich hilfreich zu erfahren, wie Nutzer*innen mit den digitalen Angeboten zurecht kommen. Auch unsere Bildungsabteilung ist sehr an Rückmeldungen zu Bildungsprogrammen interessiert.

Kommentiert von Diana Dressel am 14. Mai 2018, 14:01 Uhr

Liebe Martina, danke für Ihre Rückmeldungen. Wir freuen uns über alle Besucher*innen, die gerne unsere Bildungsangebote nutzen wollen, egal welchen Alters. Meine Kolleg*innen im Koordinierungsbüro beraten Sie gerne telefonisch oder auch per Mail, welche Programme wir Ihren Kurse empfehlen. Gerne auch ganz praxisorientiert. Kontaktieren Sie uns über gruppen@jmberlin.de oder 030-25339-305. Diana Dressel, Leiterin Bildungsabteilung

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