Veröffentlicht von am 14. August 2015 2 Kommentare

»Niemals blieb ich distanziert«

Ein Gespräch mit Rachel Heuberger über die biblische Erzählung von der Bindung Isaaks und die Ausstellung »Gehorsam«

Tänzer stellen Abraham, Isaak, Engel und Teufel dar

Filmstill aus einer Installation in der Ausstellung »Gehorsam«
© S. Boddeke & P. Greenaway, Foto: Digidaan

Seit einiger Zeit ist im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung »Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway« zu sehen. Wie jede Ausstellung, so findet auch diese unterschiedlichen Anklang bei unseren Besucherinnen und Besuchern. Im Unterschied zu anderen Ausstellungen aber fällt das Feedback, das uns im Nachhinein erreicht, oft anders aus, als vermutet. So auch dasjenige von Dr. Rachel Heuberger, Kuratorin der Hebraica- und Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt, mit welcher ich unmittelbar nach ihrem Ausstellungsbesuch über ihre Eindrücke und Gedanken sprach.

Mirjam Wenzel: Du hast gerade die Ausstellung »Gehorsam« von Saskia Boddeke und Peter Greenaway besucht. Wie würdest du sie beschreiben?

Rachel Heuberger: Die Ausstellung hat mich emotional sehr angesprochen – das Thema selbst kenne ich ja gut. Ich war von Anfang an berührt, teilweise auch aufgewühlt, vor allem durch das großartige Ballett und die Musik, die mir noch lange im Ohr blieb, und hatte das Gefühl, direkt angesprochen zu werden. Die ungewöhnliche Präsentation hat durchaus auch Teile, die in mir widersprüchliche, ja ablehnende Reaktionen erzeugen, aber niemals blieb ich distanziert, und das finde ich für eine Ausstellung schon sehr bemerkenswert.

Vielen Dank für das Kompliment. Deine Wahrnehmung entspricht ganz dem, was Saskia Boddeke und Peter Greenaway im Sinn hatten, nämlich: den Besuchern ein sinnliches und emotionales Erlebnis darzubieten. Gab es für dich denn ein Objekt, ein Kunstwerk oder einen Film, der dich besonders angesprochen oder zum Nachdenken angeregt hat?

Ein schwarz gestrichener Raum mit Steinen am Boden, auf einer Wand steht in goldenen Lettern »6 Satan«, an einer anderen Wand eine Videoprojektion

Der »Satan«-Raum in der Ausstellung »Gehorsam«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Sehr beeindruckt war ich von dem Raum mit dem Video, in dem »der Teufel« auf Abraham einredet und versucht, Zweifel an der göttlichen Anordnung entstehen zu lassen. Mit einer beeindruckenden Spannbreite menschlicher Ausdruckskraft will er Abraham dazu bewegen, sich der Tat zu verweigern, seinen inneren Widerspruch gegen solch eine Tat zu stärken und seine natürlichen Gefühle, die Liebe zu seinem Sohn, vor seine Loyalität zu Gott zu stellen. Allerdings muss man sich hierzu das ganze Video in Ruhe ansehen und es auf sich einwirken lassen.

Ruhe ist ja etwas, das auch mit dem Besuch, oder genauer: dem Studium der von dir kuratorisch betreuten Hebraica- und Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main einhergehen sollte. Welche Rolle spielt die Erzählung von der Bindung Isaaks (Genesis 22) in der Sammlung?

Die Hebraica- und Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main besitzt die größte Sammlung von Literatur zum Thema Judentum in der Bundesrepublik Deutschland – in all ihren Facetten und Ausprägungen. Das Thema ist natürlich Teil des umfangreichen Bestandes. Angefangen von verschiedenen Bibelausgaben im Original und Übersetzungen, Handschriften und alten Drucken zu biblischen Themen bis hin zu all den Kommentaren und unterschiedlichen Auslegungen der Quellen aus jüdischer und antijüdischer Sicht über die Jahrhunderte bis in die Moderne.

Szene der Tanzgruppe Club Guy & Roni aus der Ausstellung »Gehorsam«, Luperpedia Foundation.

Abgesehen von den herausragenden Schriften der Frankfurter Judaica- und Hebraica-Sammlung – was waren die Gedanken, Bilder oder Texte, die du bislang mit der biblischen Erzählung verbunden hast?

Abrahams Bereitschaft, für seinen Glauben oder (modern gesprochen) für seine Überzeugung alles andere aufzugeben, war für mich stets das zentrale Element. Ich habe nie daran gezweifelt, dass die biblische Erzählung zu einem ›guten Schluss‹ kommt, dass sie also anders hätte ausgehen können. Es geht in diesem Text nicht so sehr um blinden Gehorsam aus Angst, sondern Abraham ist zur Tat bereit, weil er diesen Lebensweg, seinen Glauben, selbst gewählt und deshalb ein Urvertrauen hat, dass dies schon so richtig ist.

Öl-Gemälde eines Schafs mit zusammengebundenen Läufen

Francisco de Zurbarán, Agnus Dei, 1635-1640. Videomapping auf Repro
© Madrid, Museo Nacional del Prado

Wenn die biblische Erzählung für dich bislang eine Erzählung vom Vertrauen in Gott war und ist – hat dir der Ausstellungsbesuch nun eine andere Perspektive nahegebracht?

Interessant fand ich die vergleichende Darstellung der jüdischen Tradition mit dem Christentum und dem Islam. Es ist interessant, wie der Islam mit Ismaels Geschichte umgeht und wie weit sie relevant ist. Vor allem aber die historischen Werke, die die Kreuzigung Jesus darstellen und in den Abbildungen direkt Bezug auf die Opferung Isaaks nehmen, haben mir vor Augen gehalten, wie unterschiedlich das Ende der Geschichte in Judentum und Christentum interpretiert wird. Vom Ende der Erzählung her gesehen – und wir leben heute ja in einer Zeit danach – werden Isaak und Ismael nicht geopfert, sondern gerettet, während Jesus geopfert wird. Es wird mich sicherlich in Zukunft noch weiter beschäftigen, welche Auswirkungen diese unterschiedlichen Interpretationen hatten und noch immer haben.

Mit Rachel Heuberger gegen Ende eines langen, ereignis- und erlebnisreichen Sommertags sprach Mirjam Wenzel, Medien

Kommentiert von Dieter Schneider am 7. September 2015, 16:56 Uhr

Von dem Interview bin ich schockiert. Nach meiner Meinung beteht die Kernaussage im letzten Raum der Ausstellung darin, deutlich zu machen, was geschehen kann, wenn jemand oder mehrere meinen, einen göttlichen Auftrag erhalten zu haben, und diesen umsetzen. Diesen Zusammenhang ignoriert Rachel Heuberger völlig und die Interviewerin traut sich offensichtlich nicht, hier noch einmal nachzufragen.

Religion ist ein heiliges Gut, so lange sie sich im Inneren eines Menschen abspielt. Wenn sie sich allerdings gegen Mitmenschen wendet und ihnen ihre Vorstellungen aufzwingt, wird sie äußerst problematisch und verliert jegliches Existenzrecht. Ich möchte nicht in Verhältnisse des Mittelalters (Inquisition) oder mittelalterliche Zustände der Gegenwart (IS) zurückkommen.

Kommentiert von Mirjam Wenzel am 8. September 2015, 11:14 Uhr

Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihren Kommentar zu meinem Interview mit Rachel Heuberger. Sie haben vollkommen recht, dass Rachel Heuberger und ich uns nicht eingehend über den vorletzten Raum der Ausstellung unterhalten haben. Dies geschah aber nicht etwa deshalb, weil wir uns nicht zu der von Ihnen skizzierten Aussage äußern wollten, sondern schlicht und einfach, weil der Raum „The Sacrifice“ eine derartig eindeutige Aussage zwar nahe legt, aber nicht wirklich macht. In den drei Videoprojektionen ist die Tanzperformance der israelischen Tanzgruppe „Club Guy & Roni“ zu sehen. Ferner kommen Kinder zu Wort, deren Leben vom Krieg gezeichnet ist – ein Teil der Kriege wird im Namen Gottes geführt, andere im Namen der Nation oder einer anderen übergeordneten Devise. Die Künstler rücken diese Kriege in Zusammenhang mit dem Opfermotiv.
Wie Rachel Heuberger argumentiert, steht dieses Motiv in der jüdischen Tradition nicht im Zentrum – weshalb die biblische Geschichte auch als „Bindung Isaaks“ bezeichnet und als eine Erzählung des (Un-)Gehorsams oder eben des Vertrauens in Gott interpretiert wird. Im Christentum wird Isaak als ein Vorbote Christi interpretiert und das Opfer, das nicht stattgefunden hat, im Ausdruck „die Opferung Isaaks“ dennoch in den Vordergrund gerückt. Rachel Heuberger bringt in dem Gespräch ihr Erstaunen zum Ausdruck, dass damit implizit nahe gelegt wird, Isaak sei doch für Gott geopfert worden. Dieses Erstaunen können Sie – wenn Sie mögen – durchaus auch auf den letzten Raum übertragen.

Mit freundlichen Grüßen
Mirjam Wenzel

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