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Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung

Presseinformation

Pressemitteilung von Do, 23. Okt 2014

  • Neue Perspektiven: Blick auf das Ritual aus jüdischer, islamischer und christlicher Sicht weit über die Bescheidungsdebatte hinaus
  • Vertiefende Einblicke: Fakten zur religiösen und kulturhistorischen Bedeutung der Beschneidung
  • Breites Spektrum: Von den Wurzeln des Rituals bis zur Popkultur im US-Fernsehen

Heute eröffnet im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung mit dem doppeldeutigen Titel »Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung« (24. Oktober 2014 bis 1. März 2015). Der Titel bezieht sich einerseits auf die Knabenbeschneidung. Er lässt andererseits auch anklingen, dass manche Juden und Muslime meinten, mit ihrer religiösen Tradition in Deutschland nicht erwünscht zu sein. Vor diesem Hintergrund betrachtet das Jüdische Museum Berlin die wenig bekannten religiösen und kulturhistorischen Hintergründe eines jahrtausendealten Rituals im Judentum, im Islam sowie dessen Rezeption im Christentum.

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10969 Berlin

Anlass für die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin war die hitzige Kontroverse, die das Kölner Landgericht im Mai 2012 mit dem Urteil über die rituelle Beschneidung von Jungen auslöste und die als »Beschneidungsdebatte« in die Geschichte eingegangen ist. Das Recht auf freie Religionsausübung wurde mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes konfrontiert.

»Ich wünsche mir von der Ausstellung ein tieferes Verständnis für die Bedeutung der rituellen Beschneidung von Jungen und dass ohne Ressentiments über Beschneidung gesprochen werden kann«, sagt Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin.

Die Ausstellung nimmt die Debatte von 2012 nicht auf und führt sie auch nicht weiter. Vielmehr geben mehr als 60 Objekte und Kunstwerke aus internationalen Sammlungen Einblick in die Hintergründe des Rituals und die theologische Bedeutung. Die Ausstellung spart dabei ressentimentgeleitete Haltungen nicht aus und konfrontiert die Besucher mit dem westlich-aufgeklärten Blick der Europäer auf beschneidende Gesellschaften. Im Entree zeigt eine Weltkarte der World Health Organisation, dass ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung aus unterschiedlichen Gründen beschnitten ist.

Auf Messers Schneide

Den Auftakt bildet die raumgreifende Installation »Auf Messers Schneide« mit einer Reihung von sechs unbekleideten Statuen und Skulpturen aus unterschiedlichen Epochen und Regionen. Die teils lebensgroßen Figuren lenken den Blick des Besuchers auf unterschiedliche kulturelle Formungen des Körpers: von Beschneidung als Übergangsritus im alten Orient, über außereuropäische Körperzeichen im afrikanischen Raum bis hin zur griechischen Figur eines betenden Knaben, der nach Vorstellung eines hellenisches Körperideals nicht beschnitten war. Die lebensgroße hyperrealistische Skulptur »Murray«, der wie etwa 70 Prozent aller US-Amerikaner beschnitten ist, steht für Beschneidung als gesellschaftliches Phänomen.

Wortraum

Zentrum der Ausstellung ist ein gleißend weißer Raum mit der Inszenierung der Bibelstelle, die Fundament für die rituelle Beschneidung ist: der Bund Abrahams mit Gott, der über ein Körperzeichen besiegelt wird. Die Verse aus dem 1. Buch Moses (17, 9-11) sind in dreidimensionalen Buchstaben in vier Sprachen und Schriften an der Wand angebracht. Ausgehend von dem jüdischen Konzept dieses abrahamitischen Bundes beleuchtet die Ausstellung das Thema aus der Perspektive der drei monotheistischen Religionen.

Der Round Table Trialog visualisiert in komparativer Absicht Beschneidung in den drei abrahamitischen Religionen. Dieser runde Tisch zieht sich durch drei Räume als Ausstellungsfläche für hochkarätige und visuell bemerkenswerte Objekte aus den drei monotheistischen Religionen.

Beschneidung im Judentum

Die rituelle Entfernung der Vorhaut am achten Lebenstag, die »Brit Mila« (hebr. »Bund der Beschneidung«) gehört zur Identität eines jüdischen Mannes: Hineingeboren in den Stamm durch eine jüdische Mutter, gehört die Brit Mila als irreversibles Symbol der Zugehörigkeit zum Judentum. Die Objekte zeigen, wie es im Laufe der Jahrhunderte wiederholt Auseinandersetzungen über Ausführungspraxis des Beschneidungsgebots gab. So rückten hygienische Standards mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die ausgestellten Objekte beziehen sich zum einen auf die medizinischen Aspekte des Eingriffs, zum anderen thematisieren sie das mit der Brit Mila verbundene regional unterschiedliche Brauchtum.

Beschneidung im Islam

Die Beschneidung im Islam (türk. »Sünnet«) wird spätestens bis zur Pubertät vollzogen. Im Koran nicht explizit erwähnt, ist sie als Sunna, den Worten, Taten und Empfehlungen Mohammeds, seit Jahrhunderten Pflicht und Glaubenstradition der Muslime. Die häufig aufwändigen Beschneidungsfeste sind bedeutende Ereignisse im Leben eines Jungen und der Familie. In der Ausstellung wird neben modernen und historischen Beschneidungskostümen den Karagöz-Schattenspielfiguren ein prominenter Platz eingeräumt. Im Osmanischen Reich waren sie fester Bestandteil des Unterhaltungsprogramms bei Beschneidungsfesten.

Rezeption im Christentum

Seit der Spätantike lässt sich das Fest der Beschneidung Christi im Kirchenkalender nachweisen. In den christlichen Kirchen wird entsprechend am achten Tag nach der Geburt Jesu (1. Januar) das Evangelium von der Beschneidung und Namensgebung Jesu gelesen (Lukas 2,21). Dies gilt auch für die katholische Kirche, obwohl der 1. Januar seit 1969 nicht mehr als Fest der Beschneidung Jesu, sondern als Hochfest der Gottesmutter Maria begangen wird. Dieses Kapitel der Ausstellung versammelt Meisterwerke christlicher Kunst wie die fromme Darstellung der Beschneidung Christi bei Peter Paul Rubens – aber auch antisemitische Umdeutungen des Rituals bis hin zu Vorwürfen des Ritualmords. Die physische Beschneidung im Christentum hatte mit dem Römerbrief des Apostel Paulus eine Umdeutung in die Beschneidung des Herzens erfahren.

Resonanzraum

Im letzen Raum werden an zehn Medienstationen innerfamiliäre und auch politische Debatten mal ernst, mal ironisch gebrochen dargestellt: darunter Dokumentar- und Spielfilme sowie aktuelle Fernsehserien aus Deutschland und den USA aber auch die Bundestagsdebatte zur Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen.

Begleitprogramm und pädagogisches Programm

Das umfangreiche Begleitprogramm beginnt am 10. November mit dem Film »Circoncision« im Montagskino. Im Rahmen des Jüdisch-Islamischen Forums wird u.a. am 4. Dezember eine Studie zur Beschneidungsdebatte mit anschließender Diskussion vorgestellt. Am 8. Februar wird ein Schattenspiel mit dem Karagöz-Meister Emin Şenyer aufgeführt.
Das pädagogische Programm richtet sich mit Workshops zur Bedeutung der Beschneidung in den monotheistischen Religionen speziell an Schulklassen und die Lehrer.

Ausstellungsdauer 24. Oktober 2014 bis 1. März 2015
Ort Altbau 1. OG
Eintritt mit dem Museumsticket (8 Euro, erm. 3 Euro)

Der Begleitband »Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung« ist im Wallstein Verlag erschienen. (176 Seiten, 75 Abbildungen, 24,90 Euro)

Partner

Wall AG

Medienpartner

chrismon
Yorck Kinogruppe
zitty BERLIN
taz.die tageszeitung

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