Grabsteine auf einem Friedhof, darüber das Porträt eines Mannes.

Ernst Marcus
(1893–1917)

„Kurz zur Mitteilung, daß ich heute das Eiserne Kreuz I. Klasse erhalten habe. Da staunt ihr? Näheres wenn möglich morgen, da heute noch das Bat[aillon] stürmt. Auf Wiedersehen.“

Diese knappe Nachricht, aus der dennoch sein ganzer Stolz über die Auszeichnung sprach, sandte der Unteroffizier Ernst Marcus am 24. Juli 1917 von der Ostfront an seine Familie.

Wenige Stunden später war Ernst Marcus tot, gefallen in der Nähe des Dorfes Swidnicki am Fluss Stochod in Wolhynien, südöstlich der Stadt Kowel (heute Ukraine).

Ein Münsteraner

Geboren wurde Ernst Marcus am 5. September 1893 im westfälischen Münster als ältestes Kind von Elias und Anna Marcus, geb. Dinkelspiel.

Sein Vater besaß ein Schuhgeschäft in der Innenstadt, weit bekannter war er aber als Schauspieler, Schriftsteller, Mundartdichter und Verfasser vieler Theaterstücke in Münsterländer Plattdeutsch.

Nach seinem Schulabschluss absolvierte Ernst Marcus eine kaufmännische Lehre und zog im März 1915 nach Berlin.

Schwarz-weiß-Foto: Ehepaar mit zwei Töchtern und einem Sohn, Atelieraufnahme

Gruppenfoto von Familie Marcus (Anna und Elias Marcus mit ihren Kindern Ernst, Käthe und Elsbeth), Münster, 1906; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Zur Landwehr

In Berlin wurde er ein Jahr später zur Armee eingezogen und als „Einjähriger“ im Königlich Sächsischen Landwehr-Infanterie-Regiment 133 eingegliedert.

Seine erste Stationierung war in Zwickau, wo er eine Ausbildung zum militärischen Zeichner erhielt. Ende Juni 1916 fuhr er mit einem Ersatztransport zur Truppenverstärkung nach Wolhynien. Dort wurde er dem 1. Bataillon, 1. Kompanie zugeteilt, das sich bei Novy Mosor in Stellung gebracht hatte und in den ersten Juliwochen in starke Verteidigungskämpfe verwickelt war.

Zeichnung, Bleistift: Einschlagtrichter und Explosion zwischen Drahtverhau, im Hintergrund Laubbäume

Einschlag eines Geschützes („15er Einschlag“), Zeichnung von Ernst Marcus, Novy Mosor, 29. August 1916; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Mit dokumentarischem Blick

Bereits in den ersten Monaten an der Front begann Ernst Marcus zu zeichnen und schickte zahlreiche Zeichnungen auf Feldpostkarten an seine Familie in Münster.

Die Bleistiftzeichnungen dokumentieren den Alltag seiner Kompanie: Soldaten im Schützengraben, beim Essen, beim Wäschewaschen und auf der Suche nach Ungeziefer, aber auch in ihrer Freizeit, etwa wenn sie Zeitung lesen, miteinander Karten spielen oder Briefe schreiben.

Zeichnung, Bleistift: Schreibende Soldat, der in einem provisorischen Unterstand in einem Schützengraben sitzt

Schreibender Soldat im Schützengraben, („Bei der Korrespondenz im alten Graben! Zeltbahn dient als Tür“), Zeichnung von Ernst Marcus, Novy Mosor, 15. August 1916; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Auch sich selbst porträtierte Ernst Marcus immer wieder – in Uniform mit dem Eisernen Kreuz, mit Stahlhelm oder im Winterpelz.

Auf einem der Selbstbildnisse notierte der 22-Jährige, dass er „wie 30 Jahre alt“ aussehe. Ob er mit dieser Bemerkung auf seinen Vollbart anspielte oder ob es ein Hinweis auf die Kriegserlebnisse war, die ihre Spuren hinterlassen hatten, ist ungewiss.

Doch auch die Menschen in dem von der deutschen Armee besetzten Land nahm Ernst Marcus aufmerksam wahr. So zeichnete er zum Beispiel Porträts von Jüd*innen in der Stadt Kowel wie auch von russischen Soldaten und Kriegsgefangenen.

Zeichnung, Bleistift: Frontales Porträt eines Soldaten, mit Brille und Bart sowie geöffneter Uniformjacke

Selbstporträt von Ernst Marcus („So seh ich aus, wie 30 Jahre alt“), Novy Mosor, 7. August 1916, Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Beförderung zum Unteroffizier

Anfang September 1916 erhielt Ernst Marcus für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz II. Klasse.

Kurz darauf folgte nach einer kühnen Aktion die Beförderung:

„Im Morgengrauen des 17. [September] gelingt es Einj[ährigem] Marcus, dem bewährten Patrouillenführer der 1. Komp[anie], den von F.W. [Feldwache] 4 und 5 zurückweichenden Russen durch unerschrockenes Draufgehen 2 Gefangene abzunehmen. Er wird durch den Divisionskommand€ zum Unteroffizier befördert.“

Wenige Tage später schickte er seiner Mutter eine Postkarte mit einem Selbstporträt als „Königlich sächsischen Einjährig-Freiwilligen Unteroffizier Ritter des Eisernen Kreuzes II. Klasse.“

Zeichnung, Bleistift: Soldat (Kniestück, frontal, stehend) mit Ordensband am zweiten Knopfloch der Uniformjacke

Feldpostkarte mit Selbstporträt, Zeichnung von Ernst Marcus, Wolhynien, 21. September 1916; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Von November 1916 an fanden sich Ernst Marcus und sein Bataillon in monatelangen Stellungskämpfen in der Gegend um das Dorf Swidnicki verwickelt. Starker Frost und Schnee, später dann Tauwetter und Hochwasser verschärften die Lage.

„Heldentod“

Anfang Juli 1917 verstärkte die russische Infanterie ihr Artilleriefeuer. Die Heeresführung forderte verstärkt die Festnahme von Gefangenen, um mehr Auskünfte über die Lage des Gegners zu erhalten. Nachdem ein erster Vorstoß scheiterte, wurde ein zweiter unter Beteiligung von Ernst Marcus vorgenommen.

Zeichnung, Bleistift: Uniformierter Soldat watet Pfeife rauchend durch einen Sumpf, im Hintergrund Gebüsch

Soldat in sumpfigem Gelände („Russ. Dreck“), Zeichnung von Ernst Marcus, Wolhynien, Oktober 1916–Mai 1917; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

So schildert es die Regimentschronik:

„Am 24. gegen 10.30 abends verließ ein Stoßtrupp von Freiwilligen des I. Batl. [Bataillons] unter Lt. [Leutnant] Klahre die Stellung an der Treuschanze, um die Besatzung des feindlichen Straßenpostens abzufangen. Da durch das Minenfeuer die gewünschte Lücke im russ[ischen] Drahthindernis nicht geschaffen war, mußte dieses mittels gesteckter Ladungen gesprengt werden. Gegen 2 vorm[ittags] drang der Stoßtrupp schließlich in den feindlichen Graben ein, überwältigte den Gegner im Handgranatenkampf und kehrte mit 6 Gefangenen zurück. Leider fanden bei diesem Unternehmen Lt. Klahre und der durch seine ausgezeichneten Patrouillengänge bekannte Uffz. [Unteroffizier] Marcus der 1. Komp[anie] den Heldentod. Die Leichen wurden erst im Morgengrauen durch den stets opferbereiten und unerschrockenen Lt. Krebs geborgen.“

Schwarz-weiß-Foto: Uniformierter Soldat, ovaler Ausschnitt, Brustbild im Halbprofil

Porträtaufnahme von Ernst Marcus, 1914–1917; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Es war, wie die Regimentschronik festhält, an dieser Stelle „die letzte bedeutende Unternehmung gegen den Feind.“

Überführung des Leichnams

Ernst Marcus wurde zunächst auf dem Soldatenfriedhof des naheliegenden Orts Popowicze bestattet.

Die Todesanzeige der Familie kündigte eine Beisetzung in Münster im September an, aber es dauerte noch mehrere Monate bis der Leichnam überführt und am 6. März 1918 auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt werden konnte.

Nach Kriegsende ehrte die jüdische Gemeinde Ernst Marcus und weitere 14 gefallene jüdischen Soldaten aus Münster mit einer Gedenktafel, die in der Synagoge angebracht wurde.

Farbfoto: Schwarzer Grabstein mit Inschrift

Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof Münster; Foto: Seminar für Exegese des Alten Testaments, WWU Münster

Das von Reichspräsident Paul von Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer überreichte man „im Namen des Führers und Reichskanzlers“ seinen Eltern im Dezember 1934.

Weitere Zeichnungen von Ernst Marcus finden Sie in unseren Online-Sammlungen.

Aubrey Pomerance, Archiv

Zitierempfehlung:

Aubrey Pomerance (2016), Ernst Marcus
(1893–1917).
URL: www.jmberlin.de/node/4603

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