Maya Schweizer: Sans histoire

Ausstellung zum Dagesh-Kunstpreis 2023

Filmstill: Roboterfisch schwimmt durch Wasser.

Maya Schweizer, Sans histoire, 2023, Video still; © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Mit der Video­installation Sans histoire gewann die Künstlerin Maya Schweizer den Dagesh-Kunst­preis 2023, gemeinsam vergeben vom Jüdischen Museum Berlin (JMB) und von „Dagesh – Jüdische Kunst im Kontext“. Die Künstlerin beschäftigte sich in ihrer Präsentation mit dem Jüdischen Museum Berlin als Ort der ritualisierten Erinnerung. Sie setzte der in der Ausschreibung gestellten Frage „Was jetzt? Von Dystopien zu Utopien“ ein offenes „Ohne Geschichte“ entgegen.

Ausstellung bereits beendet

Übersichtsplan mit allen Gebäuden, die zum Jüdischen Museum Berlin gehören. Der Libeskind-Bau ist grün markiert

Wo

Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin

Was passiert, wenn Erinnerung vor historischen Um­wälzungen, vor der Klima­katastrophe oder letztlich der Endlich­keit menschlicher Existenz verblasst?

In Sans histoire, dem für dieses Projekt eigens produzierten Film, spitzt Maya Schweizer ihr Gedanken­experiment eines Bewusst­seins „ohne Geschichte“ zu: Was passiert, wenn Erinnerung vor historischen Um­wälzungen, vor der Klima­katastrophe oder letztlich der Endlich­keit menschlicher Existenz verblasst? Wirkt sich die Vergangen­heit noch auf die Zukunft aus? Wird eine gemein­schaftlich einsetzende Amnesie durch ein digitales Ein­speichern aufge­halten oder gefördert? In einem Wechsel von Dystopien und Utopien, von bedrohlichen und befreienden Impulsen erkundet die Künstlerin trans- und post­humane Szenarien.

Die konzeptionelle und künstlerische Vision, die Maya Schweizer in ihrer Arbeit entfaltet, hat die Jury begeistert:

„In Maya Schweizers Arbeit wird die Frage ‚Was jetzt?‘ multi­dimensional beant­wortet: Statt einfacher Antworten lädt Sans histoire dazu ein, Narrative gesell­schaftlicher Realitäten und viel­fältig zusammen­gesetzte Utopien zu hinter­fragen. Gerade das Spannungs­feld aus individuellem und kollektivem Handeln wird in ihrer Arbeit fokussiert. Somit greift Maya Schweizer eine entscheidende Frage­stellung unserer Gegen­wart auf, nämlich die nach gesell­schaftlicher und individueller Ver­antwortung für unsere Zukunft.“

Neben der preis­gekrönten Video­installation zeigte die Ausstellung drei weitere experimentelle filmische Werke aus den Jahren 2012 bis 2020. Schweizer verwebt in den vier Arbeiten Fragmente der Erinnerung und Spuren des Vergessens. So entstehen aus Texten, Tönen und Bildern bewegte Gedanken­ströme, die sich aber nicht zu Erzählungen zusammen­fügen.

Eine Frau mit langen braunen Haaren, schwarzem Jackett und blauem Pullover sitzt auf einer Treppe und schaut lächelnd direkt in die Kamera.

Maya Schweizer; Dagesh – Jüdische Kunst im Kontext, Foto: Elena Krasnokutskaya, 2023

Maya Schweizer wurde 1976 in Paris geboren und studierte Kunst und Kunst­geschichte in Aix-en-Provence, an der Hoch­schule für Grafik und Buch­kunst Leipzig und an der Universität der Künste Berlin, wo sie 2007 ihren Abschluss als Meister­schülerin bei Lothar Baum­garten machte. Ihre Werke wurden bereits in zahl­reichen inter­nationalen Einzel- und Gruppen­ausstellungen gezeigt.

Der Dagesh-Kunstpreis und die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin werden durch eine Förderung der FREUNDE des JMB ermöglicht.

Logo Dagesh: Jüdische Kunst im Kontext

Sans histoire

HD / 28:30‘ / Farbe und Schwarz-Weiß / Ton
2023

Maya Schweizer antwortet auf die vom Dagesh-Kunst­preis gestellte Frage „Was Jetzt? – Von Dystopien zu Utopien“ mit ihrem epischen Gedanken­fluss Sans histoire. „Ohne Geschichte“ konfrontiert die Künstlerin eine aktuelle Furcht vor dem Ende der Zivilisation. Apoka­lyptisch wirkende Nacht­aufnahmen von Tieren, technisierte Zukunfts­visionen, Bilder von exzessiv tanzenden oder flüchtenden Menschen erzeugen eine End­zeit­stimmung. Was zuerst dys­topisch wirkt, birgt das utopische Potential eines Neu­anfangs: Immer wieder setzt Schweizer Bilder von Wellen, Meer und Wasser ein, die das Gezeigte mit sich reißen, weg­spülen und an sich binden. Das Jüdische Museum Berlin ist ein Ort der Erinnerung. Es ist eine museale Institution, die dem Thema der Geschichte der Jüdinnen*Juden in Deutsch­land gewidmet ist. Darüber hinaus ist die Erinnerung in der jüdischen Tradition ein ritualisierter Akt, der bei jedem Fest eine große Rolle spielt. Maya Schweizer lenkt hingegen den Blick auf das Vergessen als einer vom Menschen bedingten Realität. In diesem Paradox liegt auch ihr Vorschlag für den Umgang mit den existen­tiellen Ängsten unserer Zeit: Sans histoire ist ein Gedenk­ort an die Erinnerung und ein Mahn­mal des Vergessens.

Filmstill: Roboterfisch schwimmt durch Wasser.

Maya Schweizer, Sans histoire, 2023, Video still; © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Voices and Shells

HD / 18‘ / Farbe und Schwarz-Weiß / Ton 
Koproduktion mit Museum Villa Stuck 
2020

Die Kamera führt aus der Kana­lisation Münchens, dem dunklen, fließenden Unter­grund, an die taghelle, gebaute Stadt­ober­fläche. Dort tastet sie Fassaden­teile ab und deckt Spuren der national­sozialistischen Geschichte der Stadt auf. Stimmen sind hörbar, die sich mit selbst produzierten und gefundenem Bild­material ab­wechseln. Dabei wieder­holt sich das Motiv der Spirale als Symbol eines zeit­lichen Wirbels und einer Wieder­kehr, die Erinnerungen trans­portiert, aber auch verhüllt. Der Film scheint einem eigenen Spür­sinn und einer eigenen Navigation zu folgen. Voices and Shells, entstanden im Zusammen­hang mit Maya Schweizers Aus­stellung in der Villa Stuck in München, ist beispiel­haft für ihre Erkundung konkreter Erinnerungs­orte. Diese erscheinen in ihren Werken wie Organismen mit einem Gedächtnis und der Fähig­keit der Ver­drängung.

L’étoile de mer

HD / 11‘ / Farbe und Schwarz-Weiß / Ton 
Koproduktion mit dem Historischen Museum Frankfurt 
2019

Der Seestern führt in Maya Schweizers experi­mentelle filmische Methode ein. Die Künstlerin taucht in ein Gedächtnis­meer, das sie als assoziative Montage von Film­ausschnitten aus dem eigenen Archiv und der Film­geschichte mit einge­blendeten Texten und Toncollagen zusammen­setzt. Diese gefundenen, aus ihren vorherigen Kontexten weiter­gedachten Bilder ermöglichen durch ihre Viel­zahl das Vergessen. Schweizer begeht das Meer als Traum­welt, in der das Entfallene ebenso greifbar wird wie die Erinnerung.

Manou, La Seyne sur Mer, 2011

HD / 9:30‘ / Farbe und Schwarz-Weiß / ohne Ton 
2012

Maya Schweizer befragt ihre Groß­mutter nach ihrem All­tag im Pflege­heim – ein Gespräch, dem wie einer archivierten Dokumen­tation per abgefilmter Schreib­maschinen­schrift zu folgen ist. Das Gespräch findet nicht im Heim, sondern an einem Nach­mittag bei Ver­wandten statt. Den protokollierten Bewusst­seins­strom unter­brechen Fotos aus dem Zimmer der Groß­mutter im Heim. Wie Still­leben lenken sie den Blick auf die Innen­einrichtung, die oft unbe­achtet bleibt. Die Künstlerin geht einer individuellen Erfahrung nach, zeigt wie sich Gedanken formulieren und wieder verlieren.

Informationen zur Ausstellung im Überblick

  • Wann 5. Mai bis 27. Aug 2023
  • Wo Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
    Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
    Zum Lageplan
Filmstill: Roboterfisch schwimmt durch Wasser.

Alle Angebote zur Ausstellung Maya Schweizer: Sans histoire

Über die Ausstellung
Aktuelle Seite: Maya Schweizer: Sans histoire – Ausstellung zum Dagesh-Kunstpreis 2023, mit Texten zu den ausgestellten Werken, 5. Mai bis 27. Aug 2023
Begleitprogramm
Artist talk – Shelley Harten im Gespräch mit Maya Schweizer, 6. Jul 2023
Digitale Angebote
Laudatio zur Verleihung des Dagesh-Kunstpreises 2023 an Maya Schweizer – von der Kuratorin Shelley Harten, 4. Mai 2023
Siehe auch
Maya Schweizer – Website der Künstlerin, auf Englisch
The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts – Dagesh-Kunstpreis 2021
Open, Closed, Open – Dagesh-Kunstpreis 2019

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