Bienen, Kerzen, Wurzeln und Erinnerungen

Gespräch mit Alexis Hyman Wolff

Eine Frau steht vor einer Vitrine mit Büchern

Alexis Hyman Wolff in ihrer Ausstellung »Zur Zeit« im Museum der Dinge, Berlin, Juni 2013.
Foto privat, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.

Eines der Werke, die sich aus unserem Kunstautomaten ziehen lassen, ist eine wurzelförmige Kerze, die von der Künstlerin und Kuratorin Alexis Hyman Wolff geschaffen wurde. Mit Christiane Bauer sprach sie über ihr Werk und dessen Hintergründe.

Christiane Bauer: Warum hast du eine Kerze für unseren Kunstautomaten geschaffen?
Alexis Hyman Wolff: Bei dem Gedanken, dass das Objekte nicht sehr groß sein durfte und es vorübergehend im Kunstautomaten eine Bleibe finden würde, wollte ich etwas schaffen, das an ein Souvenir erinnert und so an ein Thema von Museen anknüpft. Kerzen spielen in vielen Kulturkreisen eine Rolle, wenn an bestimmte Dinge erinnert werden soll. So wird im Judentum am Jahrestag des Todes einer geliebten Person oft eine sogenannte Jahrzeit-Kerze angezündet.

Was ist besonders an dem Material, das du verwendet hast?
Die Kerzen sind aus Bienenwachs gemacht, das ich von einem Imkereifachhandel in Berlin beziehe. Meines Wissens ist Bienenwachs eines der wenigen Materialien überhaupt, das beim Verbrennen keinen schwarzen Rauch erzeugt. Das würde erklären, weshalb es heißt, Bienenwachskerzen seien gut für die Luft. Außerdem besagt ein alter, in Europa verbreiteter Volksglaube, dass Familienangehörige nach dem Tod eines Familienmitglieds zu einem Bienennest gehen, den Bienen die Nachricht überbringen und sie zur Beerdigung einladen sollen. Dieser Brauch deutet auf eine Verknüpfung zwischen den Bienen und der spirituellen Welt.

Wie wichtig ist der Aspekt des Erinnerns in deinem Werk?
Ich assoziiere das Erinnern mit Verlust und mit unseren individuellen Bewältigungsstrategien. In einer Welt, die von Vergänglichkeit und Sterblichkeit geprägt ist, haben es sich Museen zur Aufgabe gemacht, Wissen, Objekte und Geschichten im Dienst der nachfolgenden Generationen zu bewahren und ihnen damit zu einem längeren oder einem zweiten Leben zu verhelfen. Meine Arbeit spiegelt den Aspekt des Erinnerns selbst, aber auch die unterschiedlichen Arten, an Vergangenheit zu erinnern und sie zu verstehen.

Eine bräunliche Kerze in From einer Wurzel

Eine wurzelförmige Kerze von Alexis Hyman Wolff
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Inwiefern ist die Kerze, die du für den Kunstautomaten geschaffen hast, Teil der Debatte über ›Erinnern‹ und ›Memorabilia‹?
Eine Kerze ist ein kleines, bescheidenes Objekt, das jedoch ungeheure Symbolkraft besitzt: Sie bringt Licht in die Dunkelheit und hält das Feuer. Früher, in mittelalterlichen Kirchen beispielsweise, wurde mit Hilfe von Kerzen die Zeit gemessen. Mir gefällt die Vorstellung, dass mit einer Kerze ein Zeitfenster geschaffen wird, das dem Erinnern gewidmet ist. Das Wachs verwandelt und verflüchtigt sich, während die Kerze ihren Dienst tut, bis zuletzt nur die Erinnerung bleibt. Für Platon war das Gedächtnis wie eine Wachstafel, auf der sich unsere Erinnerungen abdrücken, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. All diese Vorstellungen fließen in die Kerze ein und machen sie zu einem komplexen Objekt.
Auch die Tatsache, dass meine Kerzen im Kunstautomaten wie Wurzeln geformt sind, hat Bedeutung: Sie sollen uns an unsere eigenen Wurzeln erinnern, an unsere Vorfahren und an die Dinge, die im ›Untergrund‹, also im Verborgenen, existieren. Wie sollen wir uns an Dinge erinnern, die wir nicht sehen können? Diese Frage fasziniert mich.

Du hast die Wurzeln, die als Vorlage für deine Kerzen dienen, ja in der Nähe von Los Angeles gefunden. Wie kam es zu deiner Auswahl und wie hast du die Kerzen in diese Wurzelformen gegossen?

Drei Kerzen in unterschiedlichen Wurzelformen

Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln – Alexis Hyman Wolff goss Kerzen in Form von Wurzeln aus ihrer Heimat Kalifornien.
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Die Suche nach den Wurzeln war sehr spannend und voller Überraschungen. Ich dachte, die Wurzeln im Wald würden alle die Form schlanker Kerzen haben, allerhöchstens ein wenig runder aussehen. Aber tatsächlich waren sie ganz unterschiedlich geformt: Einige sahen aus wie Knoten, andere ähnelten Zweigen oder waren zackig wie Blitze. Nachdem ich sechs unterschiedliche Wurzeln der richtigen Größe ausgewählt hatte, hat mir ein lieber Freund und Experte für Formtechnik vom Museum of Jurassic Technology in Los Angeles gezeigt, wie ich die Wurzeln ausrichten und mit silikongetränktem Gewebe umwickeln musste, um ein Model zu formen. Anschließend mussten wir das Model entzweischneiden, um die Originalwurzel herauszuholen. Für die Herstellung der Kerze habe ich erst jedes Model mit Faden zusammengebunden und in ein Sandnest gelegt, ehe ich das flüssige Wachs hineingießen konnte. Schließlich mussten die Kerzen bei einer bestimmten Temperatur aus ihrem Model entnommen werden, damit sie einerseits ihre Form behielten, andererseits nicht zu spröde waren. In meiner Küche in Berlin sah es einige Wochen lang aus wie in der Zentrale einer Kerzenfabrik. Es war eine richtig schöne Beschäftigung für den Winter.

Was sollen unsere Besucher mit der Wurzelkerze tun?
Ich finde, wie man die Wurzelkerze nutzt, bleibt jedem selbst überlassen. Hauptsache, sie sind ein schönes Erinnerungsstück für die Besucher, die sie mit nach Hause nehmen – ganz gleich, ob sie dort abgebrannt oder aufhoben werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Alexis.

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