
Jedes Objekt ein Universum
Porträts unserer Restautor*innen und Werkstätten
Viele Gegenstände unserer Sammlungen tragen Spuren ihrer Geschichte in sich, haben Versteck, Emigration und jahrzehntelange Aufbewahrung überdauert. Unsere Restaurator*innen sorgen dafür, dass die wertvollen Gemälde, Dokumente, Kulturgüter und Textilien erhalten bleiben und im Museum gezeigt werden können. Werkstattporträts.
Porträts unserer Restaurator*innen

Manchmal sieht ein Gemälde unscheinbar aus – und trotzdem kann es für uns sehr spannend sein, daran zu arbeiten: Veränderungen im Material wirken sich auf das Erscheinungsbild und die Stabilität des Kunstwerks aus und verursachen, dass die originale Aussage nicht mehr ablesbar ist. Im Kontext einer Restaurierung erforschen wir die Ursachen für das Schadensbild, erstellen ein Konzept und legen Testreihen an, um das Gemälde wieder in einen Zustand zu bringen, der es „lesbar“ macht – wie es der Künstler intendiert hat.
Barbara Decker, Gemälderestauratorin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Wenn ich den Leuten zeige, was ich gemacht habe, sind sie oft irritiert: dass der Stoff nicht schön, nicht neu, sondern immer noch alt aussieht. Das sind wir alle nicht gewohnt, gerade im textilen Bereich, denn die Modebranche ist schnelllebig. Auf der Kippa einer Rabbinerin formen Strasssteinchen den Magen David – viele davon fehlen. Jetzt ist die Frage: soll ich sie ersetzen oder sichere ich den Ist-Zustand? Wenn ich ein historisches Textil in die Hände bekomme, dann tue ich alles dafür, dass es erhalten bleibt. Ein schöner Moment, wenn mir das gelingt.
Ava Hermann, Restauratorin für Textilien; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Die Objekte, an denen ich arbeite, sind keine antiken Funde, sondern Judaica, Silber- und andere Metallarbeiten aus der moderneren Geschichte. Ich tauche bei jedem Objekt in die Tiefen seiner Welt und entdecke immer andere Fragestellungen und Erzählungen. Man erkennt die Benutzung, findet alte Reparaturen oder Stempel. Auch müssen Spuren wie zum Beispiel Öl- und Kerzenreste an Judaica erhalten bleiben. Beim Restaurieren muss man sich selber Grenzen setzen und die Geschichte des Objektes in den Vordergrund stellen, um sie ablesbar zu erhalten. Ein Schritt weiter kann leicht ein Schritt zu viel sein.
Rüdiger Tertel, Metallrestaurator für kunstgewerbliche Objekte; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Ich restauriere Objekte hauptsächlich mit Japanpapier und Kleister: Bücher, Archivalien, Schachteln und Kunst auf Papier wie Grafiken und Malerei. Bei flachen Blättern geht es eher um den optischen Eindruck. Aber ein Buch, das muss man in die Hand nehmen, blättern können. Deshalb prüfe ich: Ist der Einband stabil, ist die Heftung in Ordnung, sind Seiten lose oder verknickt, gibt es Risse und Fehlstellen? Beim Ausstellungsbau werden diskrete, aber stabile Objektmontagen benötigt. Auch dafür sind wir zuständig: dass die Exponate die Zeit der Ausstellung unbeschadet überstehen.
Gesine Siedler, Buch- und Papierrestauratorin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Das älteste Stück unserer Sammlung ist das „Sefer Sinai“, eine Handschrift auf Pergament aus dem Jahr 1391. Nur wenige so alte jüdische Objekte haben die Zerstörungen der Jahrhunderte überdauert. Das Pergament und die Schrift sind in einem sehr guten Zustand, man kann die hebräischen Zeilen auch nach über 600 Jahren noch lesen. Restaurieren heißt, nicht alles wieder neu und glänzend zu machen, sondern die vorhandene Substanz, in meinem Fall Papier, zu stabilisieren. Nicht immer sind restauratorische Eingriffe notwendig. Viel wichtiger sind gute Lagerung und das richtige Klima.
Stephan Lohrengel, Papierrestaurator; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Ich arbeite hauptsächlich mit Kunststoffen, Naturfasern, Holz und Metall in Kombination mit anderen Werkstoffen. Schreibmaschinen und Filmvorführgeräte zählen dazu, auch Möbel und in seltenen Fällen Musikinstrumente. Für die Dauerausstellung habe ich die Laute des Rabbiners Erwin Zimet restauriert. Auf ihr spielte er im Jüdischen Erholungsheim Lehnitz für mittellose Frauen und ihre Kinder. Im November 1938 emigrierte er nach England und nahm die Laute mit. Was mich an diesem Instrument fasziniert, ist diese Schönheit, dieser sehr alte Typus von Instrument, das den frühen Einfluss des Nahen Ostens auf den deutschsprachigen Raum versinnbildlicht.
René Otto, Restaurator für Objekte aus Holz, moderne Materialien und technisches Kulturgut; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Mein Lieblingsobjekt ist die Arbeit „archiv“ von Edmund de Waal. Ich habe dieses Kunstwerk sehr genau kennengelernt, da ich für seine Einzelteile – winzige Porzellanstücke, Schälchen und Alabasterplättchen – eine Aufbewahrung entwickelt habe, in der jedes fragile Kleinteil wirklich sicher und zuordenbar liegt. Das Betrachten, Gruppieren und Sortieren der feinen Scherben, manche mit vergoldeten Kanten, drückt genau aus, was ich als Erinnerungsarbeit empfinde. Das ist dann auch wieder ganz nahe an meinem Beruf, in dem ich eben auch Dinge einsortiere in dieser Erinnerungsinstitution, dem Museum.
Regina Wellen, Depotverwalterin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Um ein Gemälde zu verstehen, untersuche ich es ausführlich, bevor ich konservatorische oder restauratorische Maßnahmen durchführe. Dabei finde ich manchmal Besonderheiten wie Fingerabdrücke in der Farbe. Durch solche zufälligen Momente fühle ich mich näher am Schaffensprozess des Künstlers. Das Gemälde „Auf dem Weg ins Bethaus“ von Jakob Steinhardt hatte eine stark beschädigte Leinwand mit zahlreichen Rissen. Diese habe ich unter dem Mikroskop geschlossen, indem ich die Fäden mit ihrem jeweiligen Gegenstück verklebt habe.
Franziska Lipp, Restauratorin für Gemälde und polychrome Skulpturen; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme
Diese Fotostrecke erschien 2020 in der gedruckten Ausgabe des JMB Journals 21.