Die Brot­schale der Familie Becker

Schale mit zwei Griffen, an der Unterseite sind Füße zu sehen, sie ist von schräg oben fotografiert

Silberne Brotschale aus dem Besitz von Marianne und George Becker, ca. 1801–1815; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/135/1, Schenkung von Jacqui Becker, Foto: Roman März

Auch Gegenstände des Alltags können Zeugnis von Gewalt ablegen, wenn sie Spuren der Zerstörung aufweisen und somit das brutale Vorgehen bei Durch­suchungen und Plünderungen von privaten Wohnungen und Häusern widerspiegeln.

Zwischen dem 9. und 11. November 1938 wurden im gesamten Reich nicht nur Synagogen in Brand gesetzt, Schau­fenster eingeschlagen und Geschäfte geplündert. Die Nazis machten auch vor dem Eindringen in Privat­wohnungen und -häuser nicht Halt. Wurden die Türen nicht geöffnet, verschaffte sich die SA gewaltsam Zutritt zu den Wohnungen.

Die Nichtjüdin Margarete Weigert arbeitete im November 1938 als Haus­meisterin bei der Familie Goldschmidt in Nürn­berg. In der Nachkriegszeit schilderte sie ein­dringlich die vorgefundene Zerstörung für ein Ent­schädigungs­verfahren. Die eidesstattliche Erklärung befindet sich in unserem Archivbestand:

„Als nach einer halben Stunde der Lärm in der Goldschmidt’schen Wohnung verebbt war, begab ich mich mit meinem Mann nach der Wohnung herauf. Wir trafen dort Herrn und Frau Goldschmidt mit ihren 2 Kindern vollkommen verstört an und mußten fest­stellen, daß die gesamte Wohnung ein Bild der Zer­störung und Ver­wüstung bot. Die Möbel waren umgestürzt, Stühle zerbrochen, die Vitrine zerschlagen, die wertvollen Bilder waren mit einem scharfen Gegen­stand zerschlitzt, desgleichen die Bezüge der Polster­möbel. Das Porzellan, Kristall­gegen­stände, wertvolle Vasen und Porzellan­figuren waren zerschlagen. Es befand sich in der Wohnung kein Gegen­stand aus Kristall- und Porzellan, der noch intakt war, nur die Küchen­einrichtung und das Gebrauchs­porzellan war unbeschädigt. Auch sämtliche Betten waren aufgeschlitzt und voll von Glas­splittern.“

Von einer solchen Zerstörungs­wut zeugt auch die silberne Brot­schale aus dem Besitz der Familie Becker in Mainz. Die damals 18-jährige Marianne Becker erinnerte sich später daran wie die Wohnungs­einrichtung während dieser landes­weiten Überfälle mit einer Axt zerschlagen und Gemälde zerschlitzt wurden.

Im März 1939 emigrierte sie gemeinsam mit ihrem Ehe­mann nach Groß­britannien und von dort 1940 in die USA. Viele der zerstörten Gegen­stände nahm die Familie mit in die Emigration. In New York brachte Marianne Becker gemeinsam mit ihrer Mutter beschädigte Silber­schalen und Servier­platten zu einem Silber­schmied und ließen sie reparieren, so auch diese Brot­schale. Man muss schon genau hinschauen, um die Spuren der Schäden noch zu erkennen.

Sabrina Akermann

Schwarz-Weiß-Foto eines Brautpaars, sie sitzt, er steht rechts hinter ihr. Links im Bild ist ein Buffet zu sehen, der Raum wirkt wie ein Wohnzimmer

Hochzeitsporträt von George Becker (1906–2012) und Marianne Reiss (1919–2002), Würzburg, Oktober 1938; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/135/7, Schenkung von Jacqui Becker

Zitierempfehlung:

Sabrina Akermann (2020), Die Brot­schale der Familie Becker.
URL: www.jmberlin.de/node/7427

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