Claude Lanzmann
Filmemacher und Journalist
Claude Lanzmann (1925–2018) war ein französischer Journalist und Filmemacher. Weltweite Bekanntheit erlangte er durch seinen Film Shoah (1985), in dem er die systematische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden dokumentierte.
Geboren wurde Claude Lanzmann am 27. November 1925 in Bois-Colombes, nordwestlich von Paris. Seine Großeltern waren aus Lettland, Weißrussland und der Ukraine nach Frankreich eingewandert. Als 18-Jähriger wurde Lanzmann Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und baute an seinem Gymnasium in Clermont-Ferrand eine Résistance-Gruppe auf.
Nach Kriegsende zog er nach Paris, wo seine Mutter lebte. Er schrieb sich an der Sorbonne für ein Philosophie-Studium ein. 1947 studierte er an der Universität Tübingen weiter, das damals in der französischen Besatzungszone lag. Ein weiteres Jahr später bewarb er sich auf eine Stelle als Lektor an der neugegründeten Freien Universität Berlin. In dieser Zeit verfasste Lanzmann auch erste journalistische Arbeiten.
Seine Reportagereihe L’Allemagne derrière le Rideau de fer (Deutschland hinter dem Eisernen Vorhang), die in Le Monde erscheinen sollte, weckte das Interesse von Jean-Paul Sartre. Eine langjährige berufliche und private Verbindung mit Sartre und Simone de Beauvoir nahm ihren Anfang. Seit 1952 war Lanzmann Redaktionsmitglied der von Sartre gegründeten literarisch-politischen Zeitschrift Les Temps Modernes, später auch ihr Herausgeber.
Gemeinsam mit Sartre engagierte sich Lanzmann seit Mitte der fünfziger Jahre für den antikolonialen Widerstand in Algerien, wo er Frantz Fanon kennenlernte. So trat er unter anderem als Unterzeichner des Manifest der 121 auf, das den Widerstand gegen den Algerienkrieg in Frankreich unterstützte.
In diese Zeit, in der sich Lanzmann journalistisch mit der politischen Linken und mit den internationalen Ausprägungen des Klassenkampfs auseinandersetzte, fiel auch eine Reise nach Nordkorea. Als Journalist konnte sich Lanzmann der ersten westlichen Delegation anschließen, die 1958, fünf Jahre nach Ende des Koreakriegs, in die abgeschottete Demokratische Volksrepublik Korea eingeladen wurde. Jahrzehnte später sollte er ein weiteres Mal nach Pjöngjang reisen, auf den Spuren seiner damaligen Eindrücke und der Begegnung mit der Krankenschwester Kim Kum-Sun. So entstand 2017 mit Napalm der einzige Film, in dem sich Claude Lanzmann nicht mit der jüdischen Geschichte auseinandersetzte.
Für die Vorbereitung einer Sondernummer von Les Temps Modernes über den Nahostkonflikt reiste Lanzmann in den 1960er Jahren nach Israel. Die Grundidee für diese Ausgabe war, Beiträge von israelischen und arabischen Autor*innen in einem Heft zusammenzubringen. Beide Seiten sollten ihre Themen und Autor*innen frei wählen dürfen. Die 1.000-seitige Sondernummer erschien unter dem Titel Le conflit israélo arabe (Der israelisch-arabische Konflikt) zu Beginn des Sechstagekriegs im Juni 1967. Ungefähr zeitgleich, so schreibt Lanzmann in seinen Memoiren, die 2009 unter dem Titel Le lièvre de Patagonie (Der patagonische Hase) erschienen, brach er mit der sozialistisch-nationalistischen FLN in Algerien. In seinen Augen entwickelte sie sich mit Ahmed Ben Bella an ihrer Spitze in eine von Hass getragene Gefahr für den Staat Israel.
Anfang der 1950er Jahre hatte Claude Lanzmann bereits seine erste Reise nach Israel unternommen. Er sollte eigentlich für Le Monde eine Reportage schreiben. Konfrontiert mit den komplexen Realitäten im jungen Staat, die ihn auch persönlich trafen, verwarf er diesen Auftrag jedoch. Auch der Versuch, ein Buch darüber zu schreiben, scheiterte. In seinen Memoiren erklärt er, dass er erst zwei Jahrzehnte später und nach weiteren Reisen nach Israel in seinem ersten Dokumentarfilm Pourquoi Israël (Warum Israel) den passenden Zugang gefunden habe. In diesem Film von 1973 über die jüdische Gegenwart und jüdisches Leben nach der Schoa lotet er die Widersprüche in der israelischen Gesellschaft aus.
Seine filmische Auseinandersetzung mit dem jungen Israel führte ihn direkt im Anschluss zu dem alles verändernden zweiten Filmprojekt. Zwölf Jahre seines Lebens widmete Claude Lanzmann der Recherche, den Dreharbeiten und dem Schnitt von Shoah. Das mehr als neunstündige Werk, das gänzlich ohne historisches Bild- oder Filmmaterial auskommt, stellt die Aussagen der Zeitzeug*innen und den millionenfachen Mord in den Vernichtungslagern in den Mittelpunkt. Getrieben vom eigenen Verstehenwollen entstand eine dokumentarisch-künstlerische Arbeit, die über Jahrzehnte hinweg den Diskurs über den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden und seine Folgen prägte.
Aus den 350 Stunden Filmmaterial entstanden später weitere Dokumentationen wie Le Rapport Karski (Der Karski-Bericht, 2010), Le Dernier des injustes (Der letzte der Ungerechten, 2013) und zuletzt Les Quatre Sœurs (Vier Schwestern, 2018). Zwischen 1991 und 1994 entstand Tsahal, eine fünfstündige Dokumentation über die israelischen Streitkräfte. Zusammen mit Pourqoui Israel und Shoah bildet dieser Film eine Trilogie, verbunden durch das gemeinsame Thema – die Existenz des jüdischen Volkes.
Claude Lanzmann wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er 2013 den Goldenen Ehrenbären der Berlinale. Claude Lanzmann verstarb am 5. Juli 2018 in Paris, einen Tag nach der Première seines letzten Films. Sein Werk Shoah wurde 2023 posthum in die Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes aufgenommen.
 
   
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