Direkt zum Inhalt

Hinweis: Wir liefern alle Bilder im WebP-Format aus. Seit September 2022 wird dieses Format von allen modernen Browsern unterstützt. Es scheint, dass Sie einen älteren Browser verwenden, der keine Bilder im WebP-Format anzeigen kann. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Shoah (1985) von Claude Lanzmann

Fast zwölf Jahre seines Lebens wid­mete der franzö­sische Intellektuelle und Regi­sseur Claude Lanz­mann (1925–2018) der Recherche, den Dreh­arbeiten und dem Schnitt von Shoah. Das epische Werk mit einer Länge von 566 Minuten gilt bis heute als einzig­artiges filmisches Monu­ment über den systema­tischen Mord an den euro­päischen Jüdinnen*Juden und wurde zu einem zentralen Referenz­punkt in der Aus­einander­setzung mit den NS-Massen­ver­brechen.

Idee und Recherchen

Im Jahr 1973 war Alouf Hareven, Mit­arbeiter des israelischen Außen­ministeriums, mit dem An­liegen an Lanz­mann heran­ge­treten, einen Film zu drehen, „der die Shoah ist“. Zu diesem Zeit­punkt hatte der Regisseur gerade seinen ersten Doku­mentar­film Pourquoi Israël (Warum Israel) ab­ge­schlos­sen. Als er nach langem Zögern schließ­lich zu­sagte, er­ahnte er bereits die Dimen­sionen, die das Projekt an­nehmen könnte. Tat­säch­lich ent­wickelte sich der Film Shoah zu Lanz­manns Ver­mächt­nis und zum Kern seines weiteren Schaffens.

Zunächst begann eine inten­sive Zeit der Lek­türe: Besonders wichtig für Claude Lanz­mann waren die akri­bi­schen For­schungen des Historikers Raul Hil­berg, der später zu einem der Pro­ta­gonis­ten des Films wurde. Im Team mit Corinna Coul­mas und Irena Stein­feldt suchte er in Archiven in Israel, den USA, in Deutsch­land und weiteren Ländern nach Quellen und Namen – von Über­leben­den, aber auch von Tä­ter*in­nen. Denn ihm war klar, dass es den Film ohne ihre Stimmen nicht geben konnte. Neben Opfern und Tä­ter*in­nen sollten auch Ver­treter der Alli­ierten Regierungen und jüdi­scher Organi­sationen zu Wort kommen.

Vorgespräche und Tonaufzeichnungen

Gleichzeitig begann Claude Lanz­mann Vor­ge­spräche mit mög­lichen Pro­ta­gonist*in­nen zu führen. Coul­mas und Stein­feldt be­gleiteten ihn, wo es er­forder­lich war, als Dol­met­sche­rin­nen und führten auch selbst Inter­views in ver­schiedenen Ländern durch. Ge­leitet von seiner starken Intui­tion und gleich­zeitig ge­rüstet mit dem Wissen aus den inten­siven Re­cherchen und Vor­ar­beiten be­fragte Claude Lanz­mann Zeit­zeug*in­nen zu sämt­li­chen Aspek­ten der Ver­fol­gung und Ver­nich­tung der euro­päischen Jüdinnen*Juden.

Zu Dokumentations­zwecken wurden die Vor­ge­spräche auf Ton­band­kassetten auf­ge­zeichnet. Bei den Inter­views mit NS-Tä­tern sowie einer NS-Tä­terin blieb das Auf­nahme­gerät meist in der Tasche ver­borgen. Mehr als 220 Stunden dieser Audio­auf­nahmen aus der Recher­che­phase zu Shoah sind er­halten ge­blieben. Seit 2021 sind sie Teil der Samm­lung des Jüdi­schen Museums Berlin (JMB).

Eine Kassette mit einem Etikett.

Tonbandkassette, auf der das Vorgespräch mit Mary Sirkin dokumentiert ist; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2021/153/94, Schenkung Association Claude et Felix Lanzmann

Filmaufnahmen und Outtakes

Im Sommer 1978 be­gannen schließ­lich die syste­mati­schen Film­auf­nahmen. Claude Lanz­mann drehte zu­nächst in Polen an den Orten der ehe­mali­gen deutschen Ver­nich­tungs­lager. Auf­nahmen in vielen weiteren Ländern folgten in diesem und im folgen­den Jahr. Für die Inter­views mit Tä­tern wurde die so­genannte Pa­luche, eine Art ver­steckter Kamera, ge­nutzt, die es damals welt­weit nur wenige Male gab.

Von einigen der recher­chierten Themen musste sich Claude Lanz­mann bereits vor Beginn der Dreh­arbeiten trennen. Andere fielen während des mehr­jährigen Schnitts weg. Das nicht ge­nutzte Film­material, die Out­takes von Shoah, sind heute im United States Holo­caust Memorial Museum in Washing­ton, D.C. zu­gäng­lich und ver­mitteln zusammen mit dem Audio-Archiv des JMB ein Bild von der um­fang­reichen Vor­recher­che und thema­tischen Viel­falt der Ent­stehungs­ge­schichte des Films Shoah.

Die Claude Lanz­mann Shoah Collection des United States Holo­caust Memorial Museums (USHMM)

Die digitalisierte Claude Lanz­mann Shoah Collection der Out­takes von Shoah um­fasst 185 Stunden Inter­view­material sowie 35 Stunden mit Auf­nahmen von Dreh­orten. Die Samm­lung wurde mit Hinter­grund­infor­matio­nen zu den Pro­ta­go­nist*in­nen ver­sehen, trans­kribiert sowie – bei ab­weichen­der Film­sprache – ins Englische über­setzt.
Website des USHMM mit der Claude Lanzmann Shoah Collection (auf Englisch)

Filmsprache

Im Zentrum des Films, der am 30. April 1985 in Paris ur­auf­ge­führt wurde, steht der millionen­fache Tod in den Ver­nich­tungs­lagern. Die Über­leben­den, mit denen Lanz­mann im Film darüber spricht, be­zeichnete er als „revenants“ (Wieder­gänger), die nicht nur für sich, sondern für all die Toten Zeugnis ab­legen, mit­unter an den Orten der Ver­nich­tung selbst, teil­weise im weit­ent­fernten Exil. Als direkte Zeug*in­nen der Ver­nich­tung sucht er auch die christ­lich-pol­nischen An­wohner*in­nen auf, die Zaun an Zaun mit den Lagern lebten. Und schließ­lich be­fragt er NS-Tä­ter und lässt sie vor ver­steckter Kamera über ihr Morden be­richten. Hinzu kommen zahl­reiche Auf­nahmen von Gleisen und einer Lok, wie sie für die Depor­tationen der Millionen von Menschen in die Todes­lager ver­wendet wurde, sowie An­sichten von den Über­resten der Mord­stätten und den sie um­geben­den Land­schaften.

Lanzmann verzichtet darauf, historisches Bild­material von den Toten oder den Lagern zu zeigen. Viel­mehr zeigt er das Ver­schwin­den der Spuren, die Leere und die Schwierig­keiten die Ver­nich­tung in Worte zu fassen. In filmischen An­ord­nungen und Insze­nie­run­gen von er­innern­dem Sprechen und histo­rischen Land­schaften folgt Lanz­mann der Ver­gangen­heit in der Gegen­wart. Shoah hat er nie als Doku­mentar­film ver­standen. Es ist der Ver­such, das Un­sicht­bare sicht­bar zu machen.

Rezeption

In Deutsch­land war Shoah erst­mals im Jahr 1986 auf der Berlinale und bald darauf im WDR und im NDR zu sehen. Die Rezeption des Films fiel zwie­spältig aus. In poli­ti­schen Kreisen und für Teile der Öffent­lich­keit ge­fähr­dete der Film das Selbst­ver­ständ­nis der da­mali­gen Bundes­repu­blik. Der Bayerische Rund­funk hatte erfolg­reich darauf hin­ge­wirkt, die Aus­strah­lung von Shoah in der ARD zu ver­hin­dern. Die Film­be­sprechungen in den Feuille­tons und Fach­zeit­schriften fielen wiederum über­wiegend wohl­wollend aus. 

International wurden der Film und sein Regisseur indes mit zahl­reichen Preisen aus­ge­zeich­net. Das Werk gilt bis heute als weg­weisend in der fil­mi­schen Re­flexion der NS-Massen­ver­brechen an den euro­päischen Jüdinnen*Juden. 2023 wurde Shoah zusammen mit dem Lanz­mann-Audio-Archiv in das Register des UNESCO-Welt­doku­menten­erbes Memory of the World auf­genommen.

Links zu Themen, die Sie interessieren könnten

Teilen, Newsletter, Kontakt