Veröffentlicht von am 24. Mai 2013 0 Kommentare

Konversion & Kontroverse

Warum ein bestimmtes Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt das Interesse der Öffentlichkeit entfacht, ist nicht immer gleich ersichtlich. Das Thema Konversion, beispielsweise, ist derzeit Gegenstand von Konferenzen, Vorlesungen und Ausstellungen im deutschsprachigen Raum, ohne dass sich an seiner sozialen Relevanz oder im religiösen Gefüge vorab bemerkenswerte Veränderung ergeben hätten.

Bild in der aktuellen Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit« zur Frage: Jude oder nicht? Marilyn Monroe auf dem Cover des Modern Screen Magazine, November 1956 © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Bild in der aktuellen Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit« zur Frage: Jude oder nicht? Marilyn Monroe auf dem Cover des Modern Screen Magazine, November 1956
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Zum Judentum konvertieren nur wenige. Laut Erhebungen der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland werden jährlich in den deutsch-jüdischen Gemeinden durchschnittlich 64 Konversionen durchgeführt, und an dieser Zahl hat sich seit dem Jahr 2000 wenig verändert. Auch die Größe der jüdischen Gemeinde bleibt relativ stabil: Seit über einem Jahrzehnt bewegt sich die Zahl ihrer Mitglieder um die 105.000. Im Vergleich zur Gesamtgemeinschaft stellt der Anteil aller Konvertiten seit 1990 – insgesamt genau 1.366 Menschen – weniger als ein Prozent der jüdischen Gemeinschaft dar. Dagegen stehen etwa 100 Juden im Jahr, die aus der Gemeinde austreten, wobei diese Zahl wenig aussagekräftig ist, da sie Menschen mit den verschiedensten Motiven, unter anderem auch finanziellen, mitberücksichtigt. Alles in allem handelt es sich bei den jüdischen Konvertiten also um eine kleine und exotische Minderheit.

Und doch wird das Thema mit großem Enthusiasmus diskutiert. Die ETH Zürich bot im Herbst 2012 eine Vorlesungsreihe mit dem Titel »Konversion. Interreligiöse Übertragungen, Grenzziehungen und Zwischenräume« an, kurz nachdem die Universität Trier ihre Konferenz zum Thema – »Orts-Wechsel, Blick-Wechsel, Rollen-Wechsel: Konversion in Räumen jüdischer Geschichte« – im Juni 2012 beendet hatte.  Das Jüdische Museum Berlin zeigt in einer Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit« die fließenden Grenzen jüdischer Identität auf, und zwar anhand der Biographien von Juden, Nicht-Juden, Teiljuden und verschiedenen Konvertiten, darunter die Schauspielerin Marilyn Monroe. Besonders ausführlich wird das Thema in der Ausstellung »Treten Sie ein! Treten Sie aus!« der jüdischen Museen von Hohenems, Frankfurt und München (und einer Reihe anderer Partner) behandelt. Konversionen werden aus kultureller, ritueller und psychologischer Perspektive erörtert, wobei Ausstellungsobjekte und dazugehörige Texte die Konversionsgeschichten einzelner in drei Stadien nachverfolgen: das Davor, das Ereignis und das Danach. Die Geschichten werden anhand von Piktogrammen verbildlicht, über die nachzuvollziehen ist, welche Religionen angenommen und welche zurückgewiesen wurde. Insgesamt sind viele Religionen vertreten: das Christentum und der Islam, aber auch der Schamanismus, Buddhismus und Pastafarianismus, eine atheistische Parodie auf Religion, in der einem Spaghettimonster als oberstes, göttliches Wesen Tribut gezollt wird. Die Texte sind prägnant, integrativ und gelegentlich ironisch, mit Katalogs- und vielen Programmbeiträgen von Konvertiten, Wissenschaftlern und Intellektuellen.

Bild von Bhikkhu Nyanaponika alias Siegmund Feniger

Bhikkhu Nyanaponika alias Siegmund Feniger in Sri Lanka
© Forest Hermitage Archives, Sri Lanka

Woher stammt also das Interesse an einem Ritual, das nur wenigen praktizieren? Im heutigen Deutschland geht es scheinbar nicht etwa darum, eine Religionskultur gegen eine andere einzutauschen, sondern um den Versuch, verschiedene Religionen auf persönlicher Ebene, innerhalb von Beziehungen oder Gemeinschaften und Gesellschaften miteinander zu vereinbaren – oder sich ganz von ihnen abzuwenden. Wenn man dem Eurobarometer der Europäischen Union von 2005 glauben darf, ist die Mehrzahl der Deutschen nicht religiös. Christliche Kirchen, die seit vielen Jahren nur noch schwindende Gemeinden verzeichnen, haben angefangen darüber nachzudenken, ob und wie sie ihre Gebäude umwidmen könnten. Und auch die jüdischen Gemeinden sind nicht annähernd so groß, wie sie sein könnten. Während über 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland emigriert sind, zählen die Mitglieder der jüdischen Gemeinden gerade einmal die Hälfte. Das bedeutet, dass sich die große Mehrheit gegen einen Eintritt in die Religionsgemeinschaft entschieden hat. Vielleicht erfreut sich also das Thema Konversion solch großer Beliebtheit, weil es die Rede auf genau das bringt, was zu schwinden scheint: religiöse Loyalität.

Naomi Lubrich, Medien

 

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