Schwarz-weiß Daguerreotypie einer Frau

Ein Spiegel mit Erinnerung

Daguerreotypie von Pauline Stern, Breslau, 1849, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn, 2016

Mit Original­objekten zu arbeiten, ist eine Kernauf­gaben von Restau­rator*innen. Sie erfassen den Zustand der Objekte und schätzen ab, welche restaura­torischen Maßnahmen notwendig sind. Muss das jeweilige Objekt gereinigt oder geglättet werden? Wie ist die optimale Lagerung? Das Ziel: den Zustand der Objekte langfristig zu erhalten. In den Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin finden sich auch Daguerreo­typien. Eine Besondere ist die von Pauline Stern, die im Jahr 1849 in Breslau aufgenommen wurde. Genaueres über dieses frühe fotografische Verfahren, Pauline Stern und die Stiftung der Daguerreo­typie im Jahr 2016 weiß Papierrestaurator Stephan Lohrengel.

Hast du die Daguerreotypie von Pauline Stern restauriert?

Bisher haben wir an der vorliegenden Daguerreo­typie keine Maßnahmen durchgeführt, da sie für ihr Alter von über 170 Jahren in einem sehr guten Zustand ist. Insbesondere bei Daguerreo­typien, die sehr empfindlich sind, kläre ich, ob Handlungsbedarf besteht, um mögliche weitere Schäden zu vermeiden.

Warum sind Daguerreotypien so empfindlich?

Die silberne Oberfläche von Daguerreo­typien ist extrem berührungs­empfindlich und muss vor Luft geschützt werden, damit sie nicht oxidiert und schwarz anläuft. Deswegen sind sie auch alle verglast. Für mich bedeutet das: Wenn ich etwas an ihnen mache, muss ich genau wissen, was. Da ich kein Daguerreotypie-­Spezialist bin, trete ich in solchen Fällen immer mit Fach­kolleg*innen in Kontakt.

Ein Mann steht hinter einem Arbeitstisch in einem Atelier; vor ihm liegt ein altes aufgeschlagenes Buch

Stephan Lohrengel, Papierrestaurator; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Stephan Pramme

Was ist eine Daguerreotypie?

Die Daguerreo­typie ist das erste fotografische Verfahren, das über einen experimen­tellen Status hinausgegangen ist und eine weite Verbreitung gefunden hat. Zur Anwendungs­reife gebracht hat es der Franzose und Namens­geber Louis Jacques Mandé Daguerre. Er ließ das Verfahren auch patentieren.

Louis Jacques Mandé Daguerre

Ursprünglich arbeitete Louis Daguerre als Maler. Mitte des 19 Jahrhunderts wurde er zu einem der Pioniere der Fotografie.
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Das Verfahren

  • 1. Bei dem Verfahren poliert der Daguerreotypist eine versilberte Kupferplatte auf Spiegelglanz.
  • 2. Diese wird Jod-, Brom- und Chlordämpfen ausgesetzt. Die Zusammensetzung kann variieren. Dadurch bildet sich eine sehr dünne Schicht von licht­empfindlichem Silberjodid oder -bromid.
  • 3. Die lichtempfindliche Platte belichtet der Fotograf mehrere Sekunden lang mit einer Kamera. In dieser Zeit dürfen sich die Personen nicht bewegen, weil sonst das Bild verwackelt. An den belichteten Stellen wird das Silberjodid bzw. Silberbromid wieder zu normalem Silber umgewandelt.
  • 4. Die belichtete Platte wird über erwärmten Quecksilberdämpfen entwickelt. An den belichteten Stellen verbindet sich das Silber mit Quecksilber zu stabilem mattem Quecksilberamalgam.
  • 5. Dann wird die Platte ausgewaschen, um sie von den unbelichteten Silberjodid- beziehungsweise Silberbromidresten zu befreien. Diese Stellen erscheinen silbrig glänzend. Zusätzlich bewirken verschiedene Fixierchemikalien, dass das Bild stabilisiert wird.
  • 6. Aus dem Zusammenspiel von unterschiedlich matten und spiegelnden Bereichen und dem Einfallswinkel des Lichtes wird das detailscharfe fertige Bild sichtbar.
  • 7. Um die Oberfläche vor Berührungen und Luft zu schützen, montiert der Fotograf die fertige Daguerreotypie unter Glas in einen Rahmen oder in einem lederbezogenen Etui.

Wie und warum verbreitete sich das Verfahren?

1839 erwarb der französische Staat die Rechte an dem Patent und stellte es der Welt zur freien und unentgelt­lichen Nutzung zur Verfügung. Innerhalb von Monaten verbreitete sich das Verfahren auf der ganzen Welt. Das Jahr 1839 gilt daher als Geburts­stunde der Fotografie. Bis zum Ende der 1850er Jahre wurden viele Daguerreotypien hergestellt.

Warum haben die Menschen sich mit dem Verfahren porträtieren lassen?

Die Daguerreo­typie war das erste Verfahren, mit dem Personen realistisch abgebildet werden konnten – wenn auch spiegel­verkehrt. Außerdem war es für Menschen erschwinglich, die sich kein*e Porträtmaler*in leisten konnten. Dieser „Mirror with memory“ – Spiegel mit Erinnerung – ermöglichte es, dass Enkel sehen konnten, wie ihre Großeltern als frisch verheiratetes Paar aussahen.

„Die beiden gerahmten Daguerreotypien wurden über vier Generationen von Tochter zu Tochter weitervererbt.“

Was ist das Besondere an der Daguerreotypie?

Jede Daguerreo­typie ist ein Unikat. Das Verfahren hat eine bis heute unübertroffene Detailschärfe und kann problemlos mit heutigen Bildauf­lösungen mithalten. Die ersten Papier­abzüge waren viel gröber. Eine weitere Besonderheit sind die spiegelnden Stellen. Abhängig vom Winkel verändert sich das Bild und changiert zwischen reiner Spiegelung und Motiv.

Zwei Ansichten der Daguerreotypie, eine davon leicht gedreht, sodass sie im negativ erscheint

Daguerreo­typie von Pauline Stern, entstanden 1849, Frontal­ansicht und seitliche Ansicht; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Roman März, Inv.-Nr. 2016/287/2, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn

Warum hat sich das Verfahren nicht durchgesetzt?

Ende der 1850er Jahre setzte sich das Negativ-Positiv-Verfahren immer mehr durch, bei dem beliebig viele Abzüge möglich waren. Die Papier­abzüge wurden schneller entwickelt, waren wesentlich günstiger und mussten nicht aufwändig durch Etuis oder Rahmen geschützt werden.

Auf der Rückseite der vorliegenden Daguerreo­typie steht „1849. 18. Meine Mutter Pauline Stern geb. Kroh, geb.15.Dec.1813, gestorben 20. April 1895“. Was erzählt uns diese Beschriftung?

Wir wissen, wer dargestellt ist. Nicht immer sind diese Informationen auf der Rückseite von Fotografien verzeichnet. Für die Person selber und die Kinder und Enkelkinder, war klar, wer dargestellt ist. Für uns sind diese Informationen dann schwer heraus­zufinden. Außerdem verrät uns die Beschriftung, dass die Daguerreo­typie in der Familie des Stifters weitergegeben wurde.

Was wissen wir heute über Pauline Stern?

Wir wissen relativ wenig. Hauptsächlich kennen wir biografische Daten: Geburt, Verlobung, Vermählung und Tod. Anhand von Adressbüchern konnten wir herausfinden, dass die Familie Stern in der Breslauer Innenstadt gewohnt hat. Außerdem wissen wir, dass Pauline Sterns Ehemann Adolf Stern im Textilhandel tätig war. Zur Entstehung der Daguerreo­typie können wir nur spekulieren. Wo und von wem haben sie sich fotogra­fieren lassen? Wollten sie ihren Enkeln zeigen, wie sie ausgesehen haben? War der Anlass ihr 15. Hochzeitstag? Das Besondere an der Daguerreo­typie von Pauline Stern ist, dass sie ein Pendant hat: Eine identisch gerahmte Darstellung ihres Ehemannes.

Rückseite der Daguerreotypie von Pauline Stern

Rückseite der Daguerreo­typie von Pauline Stern; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe, Inv.-Nr. 2016/287/2, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn

Vorder- und Rückseite der gerahmten Daguerreotypie

Die Darstellung von Adolf Stern (1808-1884) entstand wie die seiner Frau Pauline Stern im Jahr 1849 zur Blütezeit der Daguerreotypie; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe, Inv.-Nr. 2016/287/1, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn

Erst 2016 kam die Daguerreotypie an das Jüdische Museum Berlin. Können wir nachvollziehen, in wessen Besitz sie über die Jahre war?

Die beiden gerahmten Daguerreotypien wurden über vier Generationen von Tochter zu Tochter weitervererbt. Zuletzt hingen die Porträts in Basel im Haus unseres Stifters Fortunatus Schnyder-Rubenssohn und erinnerten an die Urgroßeltern seiner Frau Käte Schnyder-Rubenssohn.

Wie und warum wurde sie an uns gestiftet?

Bereits im Jahr 2006 hat das Museum den Nachlass des Archäologen Otto Rubensohn erhalten. Der Stifter Fortunatus Schnyder-­Rubenssohn verstarb im Jahr 2016 mit 101 Jahren und hatte zuvor testamen­tarisch verfügt, dass diese Objekte die Rubenssohn-Sammlung erweitern sollen. Dass die Porträts vor ihrer Stiftung noch an der Wand hingen, zeigt die Wert­schätzung der Nachfahren. Umso bewegender ist es, wenn Familien sich dann von solchen Objekten trennen.

Welche Bedeutung hat die Daguerreotypie für unsere Museumssammlung?

Nur wenige Daguerreotypien sind erhalten. Das liegt einerseits daran, dass sie sehr empfindlich sind, und andererseits konnte sich nicht jede Person eine Daguerreotypie leisten. Ihr sehr guter Erhaltungszustand und die Originalversiegelung machen sie natürlich wertvoll für uns. Wir haben nur sechs weitere Daguerreotypien in weit schlechterem Zustand in der Sammlung. Die Daguerreotypien von Pauline und Adolf Stern gehören zu den frühesten Fotografien von Jüdinnen und Juden in Breslau.

Das Interview führte Immanuel Ayx, September 2021

Otto Rubensohn

Als Archäologe widmete sich Otto Rubensohn dem Feld der Klassischen Archäologie, die sich mit den Kulturen des antiken Griechenlands und Roms beschäftigt.
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Zitierempfehlung:

Immanuel Ayx (2021), Ein Spiegel mit Erinnerung. Daguerreotypie von Pauline Stern, Breslau, 1849, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn, 2016.
URL: www.jmberlin.de/node/8265

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